Chemiewaffen in Syrien: Das Regime ist gestürzt – wann folgt die Aufklärung?
Trotz erdrückender Beweise blieb das Assad-Regime für den Einsatz von Chemiewaffen bislang straffrei. Neue Funde belegen nun, dass die Bestände nie vollständig vernichtet wurden. Mit dem Sturz des Regimes stellt sich nun die drängende Frage: Wann kommt es endlich zur juristischen Aufarbeitung – und zur Aufklärung der Täterschaft hinter den zahlreichen weiteren Giftgaseinsätzen?

Jetzt ist es Gewissheit: Das Assad-Regime hat nie seine Giftgasbestände vollständig abgegeben. Die syrische Übergangsregierung hat internationale Inspektor*innen zu Chemiewaffenlagern geführt, die noch aus der Zeit des Regimes stammen. Ein Team der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) sichtete Dokumente, besuchte geheime Standorte – einige zerstört, andere geplündert – und bestätigte damit erneut, was zahlreiche Untersuchungen bereits belegen: Das Assad-Regime setzte über Jahre hinweg chemische Waffen ein.
Giftgas, Lügen, Straflosigkeit
Die Fakten sind erdrückend. Seit 2013 haben mehrere UN- und OPCW-Berichte bewiesen, dass Assad-Truppen das Nervengas Sarin und Chlorgas in dutzenden Angriffen eingesetzt haben – gezielt gegen Zivilist*innen in oppositionellen Gebieten. Über 340 Chemiewaffenangriffe wurden dokumentiert, 32 davon durch UN-Ermittlungen eindeutig Assad zugeordnet. Trotzdem blieb das Regime unbehelligt, nicht zuletzt, weil Russland jede Resolution im UN-Sicherheitsrat blockierte und die Weltgemeinschaft das Assad-Regime gewähren ließ.
Zwar informierte bereits im April 2013 das Weiße Haus das US-Parlament, dass es mit „unterschiedlichen Graden an Sicherheit“ bestätigen könne, dass die syrische Armee das Gift Sarin in begrenztem Umfang eingesetzt habe. Der damalige US-Präsident Barack Obama hatte zuvor den Einsatz von Chemiewaffen als rote Linie bezeichnet und Assad vor schwerwiegenden Konsequenzen gewarnt. Eine rote Linie soll eine unmissverständliche Grenze markieren – eine ultimative Warnung, deren Überschreiten Folgen nach sich zieht. Doch Obamas Worte blieben folgenlos. Die ausbleibende Reaktion ermutigte das syrische Regime weiterhin Kriegsverbrechen, einschließlich weiterer Chemiewaffenangriffe, zu begehen. Erst 2014 – unter dem Druck Russlands – willigte Assad schließlich zu, alle seine chemischen Waffen außer Landes zu bringen und vernichten zu lassen. Doch wie sich heute zeigt, war dies eine Farce: Das Regime behielt Bestände zurück und setzte Giftgas weiterhin gezielt gegen die Bevölkerung ein.
Beispiele dafür sind die Angriffe 2017 in Khan Sheikhoun oder 2018 in Douma. Doch in der breiten Öffentlichkeit blieb der Eindruck, man wisse gar nicht genau, wer der Urheber der Angriffe sei. Denn all diese Angriffe wurden zum Ziel massiver Desinformationskampagnen, die vor allem von Russland gesteuert wurden, um Zweifel zu säen. Selbst die OPCW wurde in den Fokus der Schmutzkampagne gerückt, um ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben. Das Motto dieser Strategie: Hauptsache, der Zweifel bleibt. Denn das allein reichte, um die Täter zu schützen.
Augenzeuge: „Wir hätten uns das nie vorstellen können“
Der Aktivist und Regisseur Saeed Al-Batal war 2013 selbst Augenzeuge des Giftgaseinsatzes in Ost-Ghouta mit bis zu 1.400 Toten:
„Wir hätten uns niemals vorstellen können, dass das Regime Giftgas gegen uns einsetzt – und vor allem, dass danach die Welt einfach nichts unternimmt! Das hat vielen Menschen in den oppositionell kontrollierten Gebieten vermittelt, dass die ganze Welt gegen uns ist. Den dschihadistischen Gruppen hat das massiv Auftrieb gegeben.“
Die Passivität der internationalen Gemeinschaft hat dem Assad-Regime nicht nur weitere Kriegsverbrechen ermöglicht, sondern auch das Vertrauen in internationales Recht nachhaltig untergraben. Nun jedoch gibt es keine russischen Vetos mehr, kein Assad-Regime, das Beweise verschwinden lassen könnte. Die Übergangsregierung zeigt sich kooperativ und hat die Vernichtung aller verbliebenen Chemiewaffen zugesagt. Doch das allein reicht nicht.
Die historische Chance zur Gerechtigkeit
Wer für Giftgasangriffe verantwortlich ist, muss zur Rechenschaft gezogen werden – nicht nur aus Gerechtigkeit für die Opfer, sondern auch als Signal an alle künftigen Machthaber, dass der Einsatz geächteter Waffen kein straffreies Verbrechen bleibt. Die OPCW plant, über hundert weitere Verdachtsorte zu untersuchen, um bisher unbekannte Chemiewaffenbestände aufzuspüren. Die Erkenntnisse könnten die Beweislast gegen Assad-Vertraute weiter erhärten.
Doch was passiert, wenn erneut klare Spuren auftauchen? Werden internationale Gerichte endlich tätig? Wird die Übergangsregierung Strafverfolgung ermöglichen? Und vor allem: Wird die Weltgemeinschaft endlich handeln, um die Täter vor Gericht zu bringen? Es ist eine historische Chance: Zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt gibt es keine politische Blockade mehr, die eine Abrechnung mit dem Chemiewaffeneinsatz verhindert. Es liegt nun an der internationalen Gemeinschaft, den Druck aufrechtzuerhalten – und endlich dafür zu sorgen, dass die Täter nicht davonkommen.
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