Grüne: Abschiebestopp für Ezid:innen „überfällig“
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Rund zwei Dutzend Grünen-Abgeordnete fordern in einem Appell an Nancy Faeser, Ezid:innen nicht mehr abzuschieben. Zuvor hatte bereits Niedersachsens Innenministerin einen weitgehenden Abschiebestopp für Angehörige der religiösen Minderheit gefordert.
Vor der Innenministerkonferenz fordern rund zwei Dutzend Grünen-Abgeordnete aus Bund und Ländern einen bundesweiten Abschiebestopp für Ezidinnen und Eziden. In einem Appell rufen sie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sowie die Landesminister:innen auf, dies bei dem am Mittwoch beginnenden Treffen in Potsdam zu beschließen. Das berichtete die „Rheinische Post“ am Dienstag.
Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) hatte zuvor bereits einen weitgehenden Abschiebestopp für Angehörige der religiösen Minderheit in den Irak gefordert. „Angesichts der weiterhin hochgefährlichen Lage für Jesidinnen und Jesiden im Irak ist es folgerichtig, dass jesidische Geflüchtete, insbesondere Frauen und Minderjährige, nicht dorthin abgeschoben werden“, sagte die Grünen-Migrationsexpertin im Bundestag, Filiz Polat, der Rheinischen Post. Der Abschiebestopp sei überfällig.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Obmann im Menschenrechtsausschuss, Max Lucks, der wie Polat den Appell unterzeichnet hat, ergänzte mit Blick auf eine anhaltende Bedrohung durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) im Irak: „Heute schieben wir Jesiden in eine Region ab, wo der Nachbar Mitglied einer IS-Schläferzelle sein könnte.“ Eine solche Nachbarschaft könne für Ezid:innen nicht sicher sein – „und das verkennt das Bundesinnenministerium“.
Dabei hatte der Bundestag am 19. Januar 2023 die IS-Verbrechen gegen die ezidische Bevölkerung einstimmig als Völkermord anerkannt hat. In dem damals beschlossenen Antrag hieß es, dass Angehörigen dieser religiösen Gruppe „unter Berücksichtigung ihrer nach wie vor andauernden Verfolgung und Diskriminierung im Rahmen des Asylverfahrens Schutz zu gewähren“ sei. Doch mehr als jeder zweite Asylantrag von Ezidinnen und Eziden wird inzwischen abgelehnt.
Das ezidische Volk
Die Ezidinnen und Eziden sind eine kurdischsprachige religiöse Minderheit. Weltweit hat die monotheistische Gemeinschaft mehrere hunderttausend Mitglieder. Das ezidische Hauptsiedlungsgebiet befindet sich in der nordirakischen Provinz Ninive, vor allem in den beiden Distrikten Şengal (Sinjar) und Şêxan (Sheikhan). Hier lebten bis zum Beginn des 2014 einsetzenden IS-Genozids schätzungsweise zwischen 600.000 und 700.000 Ezid:innen. Durch den Völkermord wurden rund zwei Drittel von ihnen in die Flucht getrieben.
Der IS hatte 2014 weite Teile des Irak und Syriens überrannt und eine Schreckensherrschaft installiert. Über die Staatsgrenzen hinweg rief die Dschihadistenmiliz ein „Kalifat“ aus. Am 3. August 2014 überfiel der IS Şengal mit dem Ziel, die bereits seit Jahrhunderten als „Teufelsanbeter“ verfolgte Religionsgemeinschaft auszulöschen. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebten die Ezidinnen und Eziden den von ihnen als Ferman bezeichneten 74. Völkermord in ihrer Geschichte.
Mindestens 10.000 Menschen fielen laut jüngeren Schätzungen der Vereinten Nationen den Massakern in Şengal zum Opfer. Mehr als 400.000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben, über 7.000 Frauen und Kinder verschleppt. Bis heute befinden sich etwa 2.700 der Entführten in der Gewalt ihrer Peniger, die meisten davon sind Frauen und Kinder. Die Frauen und jungen Mädchen werden bis heute systematisch vergewaltigt und als Sklavinnen gehalten und verkauft. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Feminizid dar.
Größte Diasporagemeinde in Deutschland
Die weltweit größte ezidische Diasporagemeinde mit rund 150.000 bis 200.000 Menschen lebt in Deutschland, viele bereits in dritter und vierter Generation. Mehrheitlich leben sie in den Bundesländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen sowie Bremen, Hamburg und Berlin.
Anmerkung zur Schreibweise: Im deutschen Sprachraum ist Jesidin/Jeside gebräuchlich. Viele Organisationen nutzen als Eigenbezeichnung „êzîdisch“, während ANF in der Regel „ezidisch“ verwendet.
Titelfoto: 3. August 2014: Ezid:innen flüchten vor dem IS ins Şengal-Gebirge (c) Abdurrahman Gök
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