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Öcalans Theorie „Den Mann töten“

 


Der Kampf mit Männern ist eine Kunst. Er ist die Grundlage für Veränderung. Als Bewegung sehen wir Männer als Genossen und kämpfen gleichzeitig mit ihnen. Und genau darin liegt die Schwierigkeit.

Interview mit Besê Erzincan (KJK)ANF / BEHDÎNAN, 27. April 2024.

Besê Erzincan aus der Koordination der KJK (Gemeinschaft der Frauen Kurdistans) hat sich in der von Arjîn Baysal moderierten Sendung Xwebûn bei Jin TV zu Abdullah Öcalans Theorie „Den Mann töten“ und dem Geschlechterkampf innerhalb der kurdischen Freiheitsbewegung geäußert.


Als Abdullah Öcalan 1996 die Theorie „Den Mann töten" aufstellte, wurde das von vielen Menschen missverstanden. Was wollte Rêber Apo eigentlich sagen?

Rêber Apo setzte sich für ein freies und gleichberechtigtes Leben ein. Zwei Dinge fordern uns sehr stark heraus: Das eine ist die Versklavung der Frauen, das andere ist die Herrschaft der Männer. Aus diesem Grund wollte Rêber Apo, dass sich die Frauen entwickeln, sowohl im Verständnis als auch im Charakter. Er schuf eine Ebene, die auch die Frauen in das Leben einbezieht. Damit einhergehend wollte er das Verständnis von Hegemonie und das Herrschaftsdenken ändern, denn diese Auffassungen waren gefährlich. Wir wissen, dass die Gesellschaft nicht einfarbig ist und es nicht nur Männer in diesem Leben gibt. Es gibt Frauen, Kinder, junge Menschen, alte Menschen. Aber der Mann hat ein System erschaffen, in dem er die ganze Gesellschaft nach seinen eigenen Interessen gestaltet. Er hat den Willen der anderen Teile der Gesellschaft zerstört. Deshalb ist die Tötung des Mannes ein Grundprinzip des Sozialismus und des freien Lebens.

Wenn wir von der Tötung des Mannes sprechen, dann ist das natürlich nicht im physischen Sinne gemeint. Es geht um die Vernichtung der männlichen Vorherrschaft, insbesondere in der Wahrnehmung, der Persönlichkeit, dem Leben, dem Zuhause und der Politik. Unser Kampf in Kurdistan unterscheidet sich von anderen Revolutionen. Wir führen einen tieferen und sehr vielschichtigen Kampf in Bezug auf den Geschlechterkampf. Wie waren andere Revolutionen? Andere Revolutionen blieben formal. Es gab wenig Veränderungen im Leben und in der Persönlichkeit, es wurden keine radikalen Veränderungen vorgenommen. Vor allem die Männer haben sich nicht verändert. Es ging nur um eine einzelne Klasse, eine einzige Nation. Aber unsere Revolution basiert auf Frauen, denn Frauen werden am meisten unterdrückt. Rêber Apo sagte, dass vor allem Frauen Freiheit brauchen. Wenn die Frauen nicht frei sind, kann die Gesellschaft nicht frei sein.

Wenn wir uns das tägliche Leben von Männern ansehen, wird ihre Dominanz in ihrem Stil, ihrem Gang, ihrer Haltung, ihrer Sprache und ihrer Vorgehensweise deutlich. Rêber Apo sagt, dass ein solcher Mann nicht frei sein kann. Dieser Mann muss diese Eigenschaften abtöten. Er muss seine Beziehungen zu den Frauen und zur Gesellschaft ändern, seine dominanten Eigenschaften abtöten, sie überwinden und sich als freier Mann neu erschaffen. Als Rêber Apo 1996 zum ersten Mal von der Tötung des Mannes sprach, war der Aufschrei groß.

Das männerdominierte System hat 5.000 Jahre hinter sich gelassen. Aber vor allem in den letzten zweihundert Jahren hat sich die Situation verschlimmert. Denn das System der kapitalistischen Moderne basiert hauptsächlich auf der Arbeit der Frauen. Je mehr Frauen es zerstörte, desto mehr wuchs es. Die Versklavung von Frauen ist heute sehr tiefgreifend. Es gab sie schon früher, aber mit der Entwicklung der Wissenschaft, der Technologie und des kapitalistischen Systems in Bezug auf Finanzen und Handel hat sich die Situation der Frauen verschlechtert. Viele Nationalstaaten arbeiten zusammen, und auch die Männer entwickeln sich schlecht. Speziell für Kurdistan hat Rêber Apo oft folgendes gesagt: „Vielleicht ist die Frau zu Hause eine Sklavin und der Mann ist der Herr, aber vor dem Staat ist der Mann ein Sklave." Das staatliche System ist so. Wenn der Mann zu Hause herrscht, bringt das System ihn zum Schweigen und etabliert sich.

Es ist, als ob die Natur des Mannes manipuliert wurde. Der Mann wird auch aus der natürlichen Gesellschaft ausgeschlossen. Ist das nicht auch wirksam?

Mit der Verstädterung entwickelte sich auch die Männlichkeit, denn in den Gefängnissen, Krankenhäusern und im Bildungswesen waren die Männer stärker. In der Vergangenheit gab es zwar Herrschaft, aber das System war nicht so tief verwurzelt, und es gab ein wenig natürliches Leben. Je weiter man sich vom Dorfleben entfernte, desto stärker wurde das männliche System. Das Bildungssystem ist zum Beispiel sehr sexistisch. Das System der kapitalistischen Moderne will die gesamte Gesellschaft übernehmen. Es will nicht, dass die Gesellschaft frei lebt, ihre Meinung äußert und ihren Willen durchsetzt. Es will die ganze Gesellschaft durch den starken Mann kontrollieren und besetzen. Es will die Männer einerseits und die Gesellschaft als Ganzes andererseits unterjochen. Das europäische System sagt, dass Männer und Frauen gleich sind, aber das stimmt nicht. Wir schätzen Frauen sehr hoch ein. Wenn man genauer hinsieht, sind die Männer versklavt und die Frauen noch mehr versklavt.

Was wurde bisher getan, um „den Mann zu töten"?

Der Mann ändert sich nicht von selbst. Das System der kapitalistischen Moderne organisiert sich in der Person des Mannes. Die Entwicklung der Frau ist wesentlich für die Veränderung des Mannes. Wenn Frauen sich in Bezug auf Verstand, Willen, Denken und Leben entwickeln, wenn sie mit sich selbst kämpfen und Freiheit lernen, können sich auch die Männer ändern. Natürlich geht es nicht darum, einzelne Männer zu verändern, obwohl auch das wichtig ist. Eine Frau muss in beiderlei Hinsicht stark sein. Sie kann sich als Individuum entwickeln und sich selbst organisieren. In einer seiner Analysen kritisierte Rêber Apo die Frauen und sagte: „Ihr könnt nicht einmal einen Mann ändern." Ein echter Kampf ist hier sehr wichtig.

Wie soll das geschehen? Sie sprechen von Frauen, die sich zu Wort melden oder sich selbst organisieren, gibt es dafür einen Mechanismus?

Es gibt solche Mechanismen. Es gibt viele Möglichkeiten, Männer zu verändern. Aber wir müssen uns selbst in jeder Hinsicht stärken. Manchmal sagen wir, dass eine Organisation ausreicht. Aber das ist nicht der Fall. Wenn wir mit einem Mann arbeiten, sind unsere Einstellung, unsere Beteiligung und unsere Diskussionen sehr wichtig. Es gibt viele Unzulänglichkeiten. Man sagt, dass wir frei sind oder dass wir unsere eigenen Entscheidungen treffen, weil wir Männer im Allgemeinen ablehnen. So ist es nicht. Wir müssen mit dem Mann kämpfen, aber wir können ihn nicht völlig ablehnen. Manchmal warten wir darauf, was der Mann sagt, und handeln entsprechend. Das ist falsch. Der Kampf mit Männern ist eine Kunst. Er ist die Grundlage für Veränderung. Als Bewegung sehen wir Männer als Genossen und kämpfen gleichzeitig mit ihnen. Und genau darin liegt die Schwierigkeit.

Es gibt entweder gar keinen Kampf oder einen liberalen Ansatz oder völlige Ablehnung. Dadurch ändert sich der Mann nicht. Wenn du einen liberalen Ansatz verfolgst, gibt er seine männliche Herrschaft nicht auf, weil du ihn bestätigst und nicht kritisierst. Bei vollständiger Ablehnung kann man keine Kameradschaft haben. Deshalb kommt es zu Brüchen. Der Charakter eines Mannes ist so: Je härter man sich ihm nähert, desto härter wird er. Frauen müssen organisiert und gemeinsam handeln, sie müssen ihre eigene Organisation und einen Willen haben, Diskussionen führen und sich Wissen aneignen. Wenn eine Frau auf diese Weise am Leben teilnimmt, kann sie sowohl Kameraden finden als auch kämpfen. Denn wir kämpfen gemeinsam gegen den Faschismus und das nationalstaatliche System. Natürlich ist es schwierig, dafür eine Methode und einen Stil zu finden. Es ist schwierig, Genossin zu sein und gleichzeitig zu kämpfen.

Aber eine Seite ist nicht so; der Mann steht still und wartet darauf, dass jemand kommt und ihn verändert. Ist dieser Kampf nicht zweiseitig?

Das stimmt, es ist falsch, aber leider ist es so. Es ist ein Kampf. Genauso wie eine Frau kämpft, sollte auch ein Mann kämpfen. So ist es auch in unserem Volk. Viele Männer stehen auf und reden über ihre Genossinnen. Sie sagen, dass Frauen sich entwickelt haben, dass sie Pionierinnen und revolutionär sind und so weiter. Aber wenn wir uns ihre Persönlichkeit anschauen, sehen wir keinen Millimeter Veränderung. Es ist, als ob dieser Kampf den Frauen gehört, aber das tut er nicht. Ein Mann sollte sagen, dass seine Eigenschaften Merkmale der Macht sind und dass diese hegemonialen Eigenschaften weder Frauen noch Männer befreien. Was ist Hegemonie? Der Mann sieht die Frau nur als Sexualobjekt. Er sieht sie nicht als seine Genossin. Aber sie sollte als Genossin angesprochen, respektiert und als menschliches Wesen gesehen werden, nicht nur als Sexualobjekt. 5.000 Jahre lang haben Männer Frauen als Schwestern, Ehefrauen, Mütter, aber nicht als menschliche Wesen betrachtet. Männer sollten immer mit sich selbst ringen und sich selbst kritisieren.

Er sollte sich ein wenig unwohl fühlen.

Er sollte sich schämen. Denn dieses kapitalistische System schafft einen vergewaltigenden Mann. Es schafft eine Vergewaltiger-Mentalität. Wie sehr sich der Mann dessen bewusst ist oder nicht, ist eine andere Sache, aber so formt das System den Mann. Deshalb sollten sich die Männer vor den Frauen schämen, sich selbst kritisieren und korrigieren. Ein Mann, der ein Kämpfer, ein Freigeist, ein Demokrat sein will, muss zuerst seine Männlichkeitsmerkmale ändern. Er darf zum Beispiel die Frauen nicht unterschätzen, er muss sie als menschliche Wesen sehen. Aber auch die Rolle der Frauen ist sehr wichtig. Frauen sollten bewusst auf Männer zugehen. Da es keine Gleichheit zwischen den beiden Geschlechtern gibt, gibt es immer Krieg. Es kann nie ein friedliches Leben geben. Deshalb müssen sich die Frauen aufklären und befreien und organisiert handeln. Auch die Männer müssen sich weiterbilden und befreien.

Einige Codes sind in unseren Gehirnen verankert. Sie haben erwähnt, dass Frauen seit Tausenden von Jahren zu Sklavinnen und Männer zu Herren gemacht wurden. Das wird noch heute in der ersten Klasse der staatlichen Schulen gelehrt. Was tun Sie im System des demokratischen Konföderalismus, um dieses Verständnis zu überwinden?

Das erste Ziel des Frauensystems ist es, ein freies Leben aufzubauen. Es hat viele Revolutionen gegeben, aber ein freies Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen konnte nicht erreicht werden. Jetzt behaupten wir, dass wir durch die Frauenrevolution eine echte Revolution schaffen werden. Der echte Sozialismus wird über einen revolutionären Weg geschaffen. Der demokratische Konföderalismus ist nicht nur ein System. Wir wollen, dass die Menschen, die Teil des konföderalistischen Systems sind, bei sich selbst Veränderungen vornehmen. Viele Organisationen, viele Ideologien, viele Auffassungen können in diesem System zusammenleben. So ist unsere Auffassung einer demokratischen Nation. Alle Völker leben unter der Führung der Frauen zusammen.

Was ist die Rolle der Jineolojî?

Die Jineolojî ist wegweisend. Sie führt die Veränderung der Männer und der Gesellschaft an. Eine der größten Krisen des Systems ist die Wissenschaft. Die Wissenschaft ist nach dem männlichen Verständnis aufgebaut. Schauen wir uns heute die Geschichte, die Archäologie, die Soziologie, die Physik usw. an: Sie sind alle fragmentiert, es gibt keine Frauen in ihnen. Alle Wissenschaften der Geschichte wurden von Frauen geschaffen, Erfindungen wurden von Frauen gemacht. Männer haben diese Erfindungen gestohlen und das kapitalistische System geschaffen. Die Jineolojî zeigt uns, wie wir ein richtiges Leben aufbauen können, eine alternative Familie und eine alternative Politik. Hinsichtlich der Frauen und Völker gibt es kein Problem, sie arbeiten hart, sie mühen sich ab, sie sind mutig, aber es mangelt an Organisation und der Fähigkeit, Perspektiven anzubieten.

Die heute gesprochene Sprache ist männlich und sexistisch. Wir kämpfen auch um die Sprache. Kurmancî und Kirmanckî ist die Sprache der Frauen. Es gibt ein Sprichwort in Kirmanckî: „Ez maya xo rê vajî", was soviel bedeutet wie „Lass es mich meiner Mutter erzählen". Das ist zum Beispiel im Türkischen nicht der Fall, dort sagt man „Efendime söyleyeyim“, also „Lass es mich meinem Herrn sagen". Man spricht den Mann an. Aber im Kurdischen spricht man die Mutter an. Das Fundament des kurdischen Volkes ist auf der Kultur der Mutter und der Frau aufgebaut. Auch hier sind Anstrengungen notwendig, um die Männer zu verändern.

Hunderte von Männern haben bei den Aufständen in Rojhilat und im Iran ihr Leben verloren. Wir haben auch gesehen, dass es Männer gibt, die sich ändern wollen, die diese Ebene erreichen wollen, die mit sich selbst ringen. Wie sollte dieses Potenzial gesehen und geschützt werden?

Natürlich gibt es solche Männer. Der Slogan Jin Jiyan Azadî hat eine historische Bedeutung. Die Gesellschaft ist zum ersten Mal mit dieser Frauenparole auf die Straße gegangen. Viele Männer beteiligten sich an den Protesten, wurden hingerichtet und gefoltert. Nicht nur in Rojhilat und im Iran, sondern überall auf der Welt beteiligten sich Männer an diesen Protesten. Was zeigt das? Die Männer haben erkannt, dass sie nicht frei sein können, solange die Frauen nicht frei sind. Es zeigt auch das Niveau des Kampfes der Frauen und des Volkes. Sie wollen eine echte Kameradschaft mit Frauen aufbauen. Wenn wir richtig vorgehen, wenn wir richtig kämpfen und uns organisieren, können wir allen Völkern und Glaubensrichtungen des Nahen Ostens den Weg zur Freiheit zeigen. Das liegt auch in unserer Hand.

Wie ist Rêber Apo damit umgegangen? Welche Art von Kampf hat er mit sich selbst geführt, welche Art von Veränderung hat er herbeigeführt?

Alle Methoden, Ideologien und Ansätze, die wir besprochen haben, gehören zu Rêber Apo. Wenn man sich selbst nicht ändern kann, kann man kein Pionier sein. Rêber Apo pflegte zu sagen: „Ich kämpfe jeden Tag mit mir selbst." Er hat zum Beispiel Fatma geheiratet. Er war zehn Jahre lang verheiratet und hat seine Ehe ständig analysiert. Er sprach darüber, wie er den Mann in seiner Person getötet hatte. Zuerst kämpfte er gegen sich selbst, denn Rêber Apo ist verliebt in die Freiheit. Solche Persönlichkeiten sind sehr selten. Rêber Apo hat mit seinem Leben das bestehende Modell zurückgewiesen. Er lehnte das Modell ab, das Frauen zu Sklaven und Männer zu Herren machte. Er hat einen Bruch erlebt. Das können nicht alle. Er liebt das freie Leben und sein Volk. Er hat sich auf sein Ziel festgelegt und Veränderungen in seiner Person vollzogen. Er hat sich für die Freiheit der Frauen eingesetzt, sie organisiert und entwickelt. Er hat für die Selbstermächtigung von Frauen gearbeitet und Perspektiven aufgezeigt. Dabei blieb er nicht nur in der Theorie. Er hat es in seiner eigenen Person in die Praxis umgesetzt und die Entstehung einer Frauenpartei und einer Frauenarmee in die Wege geleitet.

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