Dezentralisierung der Kommunalverwaltung in Nord- und Ostsyrien
Die Kommunalverwaltung in Nord- und Ostsyrien soll dezentralisiert werden. Nach den Wahlen im Mai werden die Befugnisse auf die Gemeinden übertragen. Bêrîvan Omer erläutert die Entwicklungsgeschichte seit der Revolution von Rojava.
In der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien werden am 30. Mai neue Gemeinderäte und ihre Ko-Vorsitzenden gewählt. Bêrîvan Omer, stellvertretende Sprecherin des Gemeindeverbands im Kanton Cizîrê, hat sich gegenüber ANF zur Entwicklung der kommunalen Verwaltung seit der Revolution von Rojava im Jahr 2012 geäußert.
Bêrîvan Omer erklärte, dass die Gemeinden während der Baath-Ära nur mit
Reinigungsarbeiten beschäftigt waren; sie waren eine offizielle
Institution des Staates und die Bevölkerung hatte kein Mitspracherecht:
„Damals wurden arabische Staatsbeamte aus anderen Gegenden eingesetzt,
auch wenn die Bevölkerung ausschließlich aus Kurdinnen und Kurden
bestand. Einem Menschen mit einer anderen Nationalität wurde kein
Rederecht eingeräumt. Es gab keine Vertretung der Völker. Es handelte
sich um eine Organisation, die nach dem System einer einzigen Nation
regiert wurde. Nur Menschen, die von Syrien als Staatsangehörige
anerkannt wurden - wozu der größte Teil der kurdischen Bevölkerung nicht
gehörte -, wurden in die Wahlen einbezogen. Der Bürgermeister wurde
gewählt, aber die Wahlen waren nur eine Formalität. Eine Vertretung der
Frauen in den Gemeinden gab es nicht. Frauen wurden nur als
Arbeiterinnen beschäftigt, und das nur in sehr begrenzter Anzahl. Wir
kämpfen seit vielen Jahren dafür, die alte Vorstellung von öffentlicher
Verwaltung zu überwinden. Die Rathäuser sind nicht nur Orte der
Dienstleistung, sondern auch öffentliche Einrichtungen, in denen sich
die Gesellschaft selbst regiert."
Im Zuge der Revolution von Rojava wurden im Dezember 2012 erstmals sieben Gemeinden im Großraum Qamişlo gegründet. Bêrîvan Omer schilderte diesen Prozess wie folgt: „Mit dem Ausbruch der Krise durchlief Syrien einen Zerfallsprozess und es gab keine öffentlichen Dienstleistungen mehr in der Region. Menschen, die sich für Demokratie und Freiheit einsetzten, kamen nachbarschaftlich zusammen und führten kommunale Aktivitäten durch. Der Grundstein für die Gemeinde Qamişlo wurde zu dieser Zeit gelegt. Zunächst wurden sieben Gemeinden gegründet. Danach wurde die kommunale Arbeit auf Amûdê und Dêrik und schließlich auf die gesamte Cizîrê ausgeweitet. Ein Jahr später, im Jahr 2013, wurde zum ersten Mal eine Gemeindekonferenz organisiert, an der alle befreiten Städte und Bezirke in Rojava teilnahmen. Auf diese Weise wurde die Kommunalverwaltung neu organisiert. Dabei gab es ständig Angriffe.
2015 fanden in Rojava zum ersten Mal Kommunalwahlen statt. Es wurden Gemeinderäte gebildet und Ko-Bürgermeister:innen gewählt. Im Jahr 2017 wurden die Ko-Bürgermeister:innen entsprechend der Vertretung in den Räten gewählt. Die kommunale Arbeit begann also mit der Revolution und wird seitdem fortgesetzt. Das bisher praktizierte System basiert auf den Wahlen von 2017. Im Rahmen dieses Systems haben sich unsere Gemeinden inmitten von Krieg, Konflikt und Krise weiter organisiert."
Bürokratischen Aufwand durch Dezentralisierung abbauen
Bêrîvan Omer erklärte, nach den Wahlen im Jahr 2017 sei man zu dem Schluss gekommen sei, dass Direktwahlen notwendig seien: „Die Tatsache, dass die von den Räten gewählten Ko-Vorsitzenden mehreren Organisationen angehörten, führte unweigerlich zu Bürokratie und Verzögerungen bei der Arbeit. In den Kantonen gab es den Ausschuss der Gemeinden, dann den Rat der Gemeinden und schließlich den Rat der Gemeinden in Nord- und Ostsyrien. Die von den Lokalverwaltungen getroffenen Entscheidungen waren direkt von diesen Institutionen abhängig. Dadurch wurde der lokale Kompetenzbereich eingeschränkt und es konnten keine Maßnahmen auf der gewünschten Ebene ergriffen werden."
Das alte System soll mit dem am 7. April von der Demokratischen Volksversammlung von Nord- und Ostsyrien verabschiedeten Gesetz über demokratische Gemeinden überwunden werden, so Bêrîvan Omer: „Wir werden zu einem neuen System übergehen. Daran arbeiten wir seit 2023. Wir haben Sitzungen abgehalten, um direkt mit der Bevölkerung zu arbeiten, und mit Fachleuten aus den Gemeinden diskutiert. Nach diesem Prozess wurde auf der Grundlage der gewonnenen Daten ein Entwurf für die Gesetzesartikel erstellt. Dieser Entwurf wurde von der Volksversammlung angenommen und in Kraft gesetzt. Dieses Gesetz wurde erlassen, um ein Verständnis von Kommunalismus zu entwickeln, das weit von Zentralisierung entfernt ist, direkt auf dem Willen des Volkes basiert und seine Arbeit einfach und ohne die Notwendigkeit einer höheren Autorität ausführt. In dem aus 63 Artikeln bestehenden Gesetz wurden die Aufgaben und Zuständigkeiten der Gemeinden umfassend behandelt. Bislang gab es keinen Gemeindeverband. Dieser wird nun durch den Zusammenschluss der Gemeinden in den Kantonen gebildet, also als Gemeindeverband für ganz Nord- und Ostsyrien. Nach den Kommunalwahlen werden die Dorf- und Bezirksgemeinden den Stadtgemeinden nicht mehr untergeordnet sein. Sie werden die von ihnen getroffenen Entscheidungen vor Ort umsetzen können. So wird das System weiter vereinfacht.“
Kommunaler Aufbau unter Kriegsbedingungen
Bêrîvan Omer geht davon aus, dass viele Probleme mit dem neuen System überwunden werden können. „Wir haben zum Beispiel bei der Verteilung des Budgets viel direkte Kritik aus der Bevölkerung erhalten. Es gibt Defizite, weil die Kommunalverwaltungen nicht vollständig auf der Bevölkerung basieren. Das hat zu mangelnden Dienstleistungen geführt. Wir haben beispielsweise in den Bereichen Kunst und Kultur, Sport, Ökologie, Frauen- und Jugendarbeit nicht die notwendigen Voraussetzungen für eine breite Beteiligung auch in den Dörfern und Bezirken geschaffen. Der gesellschaftliche Aufbau findet parallel zum Krieg statt. Ein großer Teil unserer Arbeit wird durch den Krieg zunichte gemacht. Aufgrund der Kriegsbedingungen konnten die Versorgung mit Wasser und Strom und der Straßenbau nicht im geplanten Rahmen erfolgen. Eine kontinuierliche Versorgung wird erschwert, und unsere Möglichkeiten sind äußerst begrenzt. Die Bevölkerung hat unsere Arbeit in den schwierigsten Zeiten begleitet und weiß, dass sich Kommunen unter unmöglichen Bedingungen neu strukturieren."
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