Suweida/Syrien: 200 Tage Hoffnung
Zum 13. Jahrestag der Revolution ergreifen Demonstrant*innen aus den neuen Anti-Regime-Protesten in Syrien das Wort. Aktivistin Raya Sibeye hat ihre Stimmen vor Ort gesammelt.
Nicht einmal 40 Kilometer Luftlinie trennen die Wiege der syrischen Revolution von dem neuen Protest-Hotspot in Syrien. Die Wiege der Revolution? Fragt man Syrer*innen ist das Daraa, eine Provinzstadt im Südwesten Syriens. Dort hatten im Februar 2011 Schulkinder Slogans wie “Nieder mit Assad” an die Mauer ihres Schulhofs gesprüht. Der Geheimdienst fahndete nach den Kindern, die alle die siebte Klasse besuchten. Als er sie fand, wurden die Minderjährigen verhaftet und brutal gefoltert. Eltern und Verwandte gingen daraufhin auf die Straße. Schon ein paar Wochen später erschossen Sicherheitskräfte die ersten friedlichen Demonstrierenden.
Der neue Protest-Hotspot? Das ist die Kleinstadt Suweida. Die gleichnamige Provinz grenzt direkt an Daraa und steht formal unter der Kontrolle Damaskus’. Doch seit August 2023 blüht dort der Protest gegen das Assad-Regime mit einer vielfältigen Bewegung erneut auf. Fast täglich versammeln sich Demonstrierende. Die aktuellen Proteste müssen zweifellos als eine Fortsetzung der Revolution von damals verstanden werden. In ihr geben viele junge Menschen den Ton an, die Kinder von 2011, die in den vergangenen dreizehn Jahren erwachsen geworden sind.
Sie fordern heute nicht nur den Sturz des Regime – sie wollen auch dessen Angehörige vor Gericht sehen. Assad und seine Gefolgschaft sollen nicht ungestraft davonkommen. Außerdem fordern sie die Freilassung aller politischen Gefangenen und, dass die Schicksale der vielen Verschwundenen endlich aufgeklärt werden. Ihr Ziel ist ein geordneter politischer Übergang ohne Chaos und Zerstörung im Sinne der Resolution 2254.
Obwohl es immer wieder zu kleineren Zusammenstößen kam, griff das syrische Regime nicht mit der Brutalität in die Proteste ein, wie es noch vor dreizehn Jahren der Fall war. Die Vermutung liegt nahe, dass Assad durch die Unterstützung der drusischen Religionsführer für die Demonstrationen die Hände gebunden sind. Das Regime behauptet sei jeher, religiöse Minderheiten zu schützen, dazu gehören auch die Drus*innen. Im Jahr 2011 waren die Proteste überwiegend sunnitisch geprägt – eine Zielscheibe, auf die das Regime skrupellos schoss.
Dennoch kam es am 28. Februar 2024 zum ersten tödlichen Zwischenfall in den Suweida-Protesten. Sicherheitspersonal eröffnete das Feuer auf Demonstrierende vor einem Regimegebäude. Einige wurden verletzt, darunter auch Jawad al-Barouki (52). Er erlag später seinen Verletzungen. Obwohl sie wenig Hoffnung auf einen fairen Prozess haben, reichten Menschenrechtsanwält*innen aus Suweida nun Klage ein. Sie fordern eine umfassende Untersuchung zu dem Mord, “um das Verbrechen aufzudecken und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen”.
Die Protestbewegung in Suweida ist stark vernetzt und organisiert. In Konferenzen werden Interessenunterschiede offen angesprochen und Kompromisse vereinbart. Auch nach den tödlichen Schüssen auf Jawad al-Baroukithe riefen sowohl religiöse, als auch zivile Gruppen dazu auf, friedlich weiter zu demonstrieren. Die Stärke der Protestbewegung liegt eben darin, im Dialog zu bleiben.
“Der Tag des Revolution ist mir sehr wichtig. Seit dreizehn Jahren halten wir durch und kämpfen für unsere Rechte, trotz aller Leiden und der Tatsache, dass Syrien zum Schauplatz internationaler Konflikte geworden ist. Dennoch bleibt es mein geliebtes Land, das eines Tages wieder mir gehören wird.”
Khaled, Demonstrant, 41 Jahre
Anlässlich des 13. Jahrestag der Revolution veröffentlichten zivile und politische Organisationen eine gemeinsame Erklärung, in der sie sich weiterhin für den Aufbau eines demokratischen Syriens aussprechen. Darin betonen sie auch, dass sie sich gegen die Spaltung und den Einfluss von ausländischen Mächten zur Wehr setzen. Die Protestbewegung in Suweida weiß heute mehr als die Denonstrierenden damals. Sie haben gesehen, wie die Revolution 2011 im Laufe der Jahre von allen Kriegsparteien missbraucht wurde, um eigene Interessen durchzusetzen. Selbst jene, die behaupteten, demokratische Werte zu leben, fielen ihnen in den Rücken. In der Adopt-Veranstaltung “Ohne Frauen kein Frieden in Syrien” zeigte die Aktivistin Raya Sibeye kürzlich, wie entschlossen und geeint die neue Protestbewegung heute ist:
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