Berichte über Willkürherrschaft: Bundesanwaltschaft soll sich mit protürkischen Foltermilizen in Syrien befassen
Z9 sah noch, dass die Männer am Checkpoint zwei Flaggen auf ihren Uniformen trugen. Am linken Ärmel prangte das Emblem der »Syrischen Nationalen Armee«, rechts ein türkisches Hoheitsabzeichen. Dann banden sie ihm ein Stück Stoff um den Kopf und nahmen ihn mit, in ein Gefängnis.
Dort schlugen sie ihn. Traten ihn. Stachen mit einer Nadel unter seine Fingernägel, ins Nagelbett. Schrien ihn an: Er solle gestehen, dass er ein Terrorist sei, im Dienst der kurdischen Arbeiterpartei PKK. So schildert er es im Gespräch mit dem SPIEGEL.
Später wurde er in ein anderes Gefängnis verlegt, dort sei alles noch viel schlimmer geworden. »Ich habe Folter miterlebt, das kann man sich kaum vorstellen«, sagt Z9.
Seine Stimme bricht, er will eine Pause. Danach erzählt er weiter, es geht um die Vergewaltigung von Frauen, Demütigungen vor anderen Gefangenen, um Häftlinge, denen systematisch die Nahrung verweigert worden sei.
Z9 spricht per Videoleitung. Man darf ihn nicht beschreiben und nicht verraten, wo er ist. Keine Hinweise darauf geben, wann und wo er litt und wie er nach fast drei Jahren aus der Haft entkam. Er hat Angst um seine Familie, die in der syrischen Region Afrin geblieben ist. Es ist jene kurdische Region, die mit der Unterstützung der Türkei von arabischen Milizen kontrolliert wird.
Z9 steht für den neunten Zeugen einer Strafanzeige, die diese Woche beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe einging. Der Mann und weitere mutmaßliche Opfer der Milizen wollen ihre Peiniger zur Rechenschaft ziehen, unter anderem wegen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«.
Karlsruhe ist jetzt so etwas wie die letzte Hoffnung der Opfer von Afrin.
Der ignorierte Krieg
Der Bürgerkrieg in Syrien ist eine beinahe vergessene Tragödie. Kaum jemand spricht mehr über die Untaten des »Islamischen Staats«, die Folter und massenhaften Exekutionen des syrischen Regimes. Das Drama der syrischen Region Afrin hat der Westen weitestgehend ignoriert.
Schon als die Türkei 2018 unter dem Vorwand einer Operation gegen Verbündete der Terroristen der PKK in Nordsyrien einmarschierte, erhoben Beobachter und prokurdische Aktivisten schwere Vorwürfe: Ankaras Truppen würden auch zivile Ziele angreifen.
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