Rojava, Westkurdistan: Zermürbungskrieg geht weiter
Rojava, Westkurdistan
Zermürbungskrieg geht weiter
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Offiziell hat die türkische Luftwaffe ihre Angriffe auf Rojava seit Mitte Oktober vorerst beendet. Trotzdem greift das Militär das von Kurd:innen dominierte Nordostsyrien weiterhin mit Artillerie und Drohnen an. "Es geht mit den Drohnenschlägen weiter, die schon vor den Luftangriffen regelmäßig stattfanden", sagt Raman Bilal, der in Dêrik lebt. Am ersten Weihnachtsfeiertag griff die Türkei wieder mit Bomben an. Die Stadtzentren von Kobane und Qamischlo wurden attackiert. Nach Berichten in sozialen Medien seien dabei mehrere Menschen getötet und eine Nähfabrik zerstört worden. Die Türkei nehme inbesondere Verantwortliche aus Militär und Verwaltung ins Visier, sagt Bilal. Doch immer wieder werden auch Zivilist:innen getroffen.
Die gesamte Region ist gezeichnet von den massiven Angriffen auf die Infrastruktur. "Strom, Diesel und Wasser, alles ist beschädigt", betont Bilal. Besonders der Mangel an Diesel beeinträchtige das Leben der Menschen. Der Treibstoff ist für die Strom- und Wärmeversorgung in Rojava essentiell. "Mal schauen, was im Winter noch improvisiert werden kann", sagt Bilal. Schon seit Jahren müssen die Bevölkerung und die lokale Verwaltung mit Situationen des Mangels umgehen.
Ausgabe 655, 18.10.2023
Türkei nimmt Bevölkerung ins Visier
Von Florian Kaufmann
Während die internationale Gemeinschaft schweigt, startet die Türkei neue Angriffe auf die mehrheitlich kurdisch bewohnte Autonomieregion Rojava in Nordostsyrien. Ihr Ziel: die Versorgung der Bevölkerung lahmzulegen. In Rojava versucht sich seit mehr als zehn Jahren eine Selbstverwaltung zu etablieren.
"Das ist eine Zermürbungstaktik", sagt Bilal. "Einerseits soll mit gezielten Angriffen auf Personen Erfahrung und politisches Know-how zerstört werden. Zum anderen sollen wir mit der Zerstörung der Infrastruktur auch ganz praktisch zermürbt werden. Erdoğan will uns das Leben hier nicht mehr lebenswert machen." Die Türkei ist seit Jahren mit Militäroperationen im Irak und in Syrien aktiv, um die vor allem von der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) proklamierten Autonomiebestrebungen zu unterbinden. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan fürchtet darin ein Vorbild für die eigene kurdische Minderheit im Land. Mitte Oktober entschied das türkische Parlament den Militäreinsatz im Irak und in Syrien um weitere zwei Jahre zu verlängern. Erdoğan begründet die fortgesetzten Angriffe mit der Bekämpfung des Terrorismus.
Aktuell drohen Rojava und die kurdische Bevölkerung wieder zum "Spielball der Geopolitik" zu werden, fürchtet Bilal. Das von kurdischen Kräften dominierte Militärbündnis Demokratische Kräfte Syriens (SDF) wurde im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) stark von der US-Armee unterstützt. Inmitten des Krieges in Syrien wurde dadurch auch die De-Facto-Autonomie gestärkt. Noch heute ist das US-Militär in Syrien und im Irak stationiert. Für Erdoğan ist das ein Dorn im Auge. "Was haben die Amerikaner in Syrien zu suchen?", fragte er kürzlich.
Dieses Ziel der Vertreibung der USA teilt er mit den beiden Schutzmächten des syrischen Regimes, Iran und Russland. Um die kurdische Selbstverwaltung in Rojava zu beenden, könnte die Türkei auf ein Zweckbündnis setzen. Erste Anzeichen seien schon jetzt spürbar, sagt Bilal. "Das syrische Regime treibt die Isolation der Region voran." Dies sei durch den Dieselmangel schon spürbar. Die Diesel-Raffinerien sind in der Hand des syrischen Regimes, das den Kraftstoff nicht mehr nach Rojava durchlasse.
Doch unterkriegen lassen wollen sich die Kurd:innen nicht. Mitte Dezember veröffentlichten sie einen neuen Gesellschaftsvertrag, der das Zusammenleben zwischen Kurd:innen, Araber:innen und anderen Gruppen in Rojava festigen soll.
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