Türkei: Tödliche Exporte
Wie ihre Kampfdrohnen die Türkei zum Vorbild anderer Autokratien machen.
Von Anita Starosta und Caspar Emert. Veröffentlicht am 27. September 2023.
Heute vor einem Jahr tötete eine türkische Drohne gezielt zwei Menschen aus medico-Projekten in Nordostsyrien. Zeyneb Sarokhan und Yilmaz Sero waren Vorsitzende der Verwaltungsabteilung Justizreform für die Region Cizîrê und am 27. September 2022 in ihrem Auto untwerwegs, um Gefängnisse in der Region zu besuchen, als die türkische Drohne traf. Zeyneb Sarokhan leitete jahrelang ein von medico unterstütztes Waisenheim, wo wir sie mehrmals trafen. Ihr Einsatz für Frauen- und Kinderrechte war beeindruckend und einzigartig in der Region.
Seit Jahren sind Drohnenangriffe für die türkische Regierung das Mittel der Wahl, um ein permanentes Bedrohungsszenario zu schaffen und die autonome Selbstverwaltung in Nordostsyrien zu schwächen. Mit der gezielten Tötung von Zeyneb Sarokhan und Yilmaz Sero wurde deutlich, dass auch die zivile Arbeit und auch das Projektgeschehen von medico selbst unmittelbar betroffen ist. Obwohl wir damals über Pressearbeit und Kontakte in die Politik versuchten, Aufmerksamkeit für das Attentat zu schaffen und Gerechtigkeit forderten, blieben ein Aufschrei und entsprechende Reaktionen aus. Anders als bei den großen militärischen Operationen 2018 in Afrin und 2019 in Serekaniye wird dieser Krieg niederer Intensität nicht verurteilt oder auch nur über diesen berichtet. Und das obwohl es seit Beginn des Jahres 2023 49 Drohnenangriffe mit insgesamt 62 Toten und 57 Verletzten gab, wie das „Syrian Observatory for Human rights“ registrierte.
Die Angriffe richten sich primär gegen militärisches Personal der syrisch-demokratischen Kräfte. Oft genug wurden jedoch auch zivilgesellschaftliche und administrative Führungspersonen getötet, um die Selbstverwaltung der Region zu schwächen. Am 20. Juni 2023, bei dem die Mitglieder des Kantonrats von Qamishlo; Yusra Derwes, Liwan Siwes und Firat Tuma, getötetet wurden. Am 23. August folgte ein weiterer, gezielter Angriff gegen ein Fahrzeug des Frauensenders JinTV. Zwischen Qamishlo und Amude wurde dabei der Fahrer, Necmeddîn Feysel, getötet und die Korrespondentin Delîla Egîd schwer verletzt. Das internationale „Committee to Protect Journalists“ mit Sitz in New York veruteilte den Angriff und fordert Aufklärung. Immer wieder kommen auch Menschen um, die sich nur zufällig in der Nähe befunden haben oder den Opfern helfen wollten. Das ist einkalkuliert: Die Nähe zu Personal der Selbstverwaltung ist gefährlich. Die ständige Präsenz und Gefahr von Drohnen ist zu einer kollektiven, psychischen Belastung der Gesellschaft geworden. Diese Bedrohung bekommen auch wir als medico bei Besuchen vor Ort und in der Arbeit mit unseren Partner:innen unmittelbar zu spüren. Eine Drohne kann jederzeit und überall einschlagen. Das verunmöglicht Reisen, Treffen und Zusammenkünfte.
Drohnen als Tötungsmittel der Wahl
Anfang 2022 präsentierte Präsident Erdogan vor den Vereinten Nationen seine Pläne zur militärischen Besetzung einer 30 Kilometer langen Sicherheitszone entlang der türkisch-syrischen Grenze. Eine bereits über Jahre erhobene Forderung, mit der Erdogan auch die völkerrechtswidrigen Militärinterventionen in Afrin 2018 und Serekaniye 2019 begründete. Bis heute hält Erdogan an der Idee fest, alle Gebiete westlich des Euphrats unter türkische Kontrolle zu bringen. Das beträfe auch die Region Shebha, in der Hunderttausend Flüchtlinge aus Afrin leben. Bisher sind sowohl die USA als auch Russland mit Truppen vor Ort und agieren als Garantiemächte der Waffenstillstands- und Deeskalationsabkommen von 2019. So ist der Einsatz von Drohnen offensichtlich die geduldete Form, um ohne großangelegte Militärintervention den Krieg gegen die Selbstverwaltung und die Bevölkerung in Nordostsyrien fortzuführen. Auch wenn die Hoheit über den Luftraum der Region bei Russland und den USA liegt, gehen sie bisher nicht gegen die Drohnenangriffe vor und vermeiden eine Konfrontation mit der Türkei.
Mit der Nutzung modernster Kriegstechnologie für rechtwidrige Einsätze steht die Türkei nicht alleine da. In den vergangenen Jahren stieg das internationale Interesse an Drohnen aus türkischer Produktion. Besonders die Bayraktar TB-2 vom türkischen Unternehmen Baykar, dessen Mitbegründer ein Schwiegersohn von Erdogan ist, wird nachgefragt. Einsätze in Syrien, Libyen und Berg-Karabach bewiesen die „Effektivität“ und steigerten die Nachfrage. So entwickelte sich die Türkei in den letzten Jahren zum wichtigsten Exporteur von militärischer Drohnentechnologie. Neben der Verlässlichkeit spricht auch der Preis von circa 2 Millionen Euro für die Beschaffung solcher Systeme. Eine vergleichbare US-Drohne kostet ca. 18 Mio. Euro.
Auch im Ukraine-Krieg kommen die Bayraktar-Drohnen zum Einsatz. Schon seit 2018 kauft die Ukraine Drohnen vom Modell TB-2, 2022 folgte ein bilaterales Abkommen über den Bau eines Werks zur Herstellung des Modells. Ermöglicht wurde dies unter anderem durch die starke Zentralisierung von Entscheidungsprozessen innerhalb der türkischen Exportkontrollpolitik. Während andere, große Drohnenexporteure wie die USA internationale Verkäufe nur mit Zustimmung des Kongresses tätigen können, gibt es in der Türkei keine parlamentarische Kontrolle. In Folge dessen gilt das Verteidigungsministerium als der wichtigste Akteur in der Erteilung von Genehmigungen zur Ausfuhr.
Die Kombination aus lockeren Exportvorschriften und günstigem Preis erhöht das Interesse insbesondere bei Akteuren, die weder über ein großes Verteidigungsbudget noch Beziehungen zu den USA oder Israel haben, um so Zugang zu dieser Militärtechnologie zu haben. Während der Verkauf von Bayraktar-Drohnen an die Ukraine lokal und international goutiert wird, stehen auf der Kundenliste auch autoritär regierte Staaten wie Aserbaidschan, Turkmenistan, Tunesien, Burkina Faso, Mali und andere. Das führt immer wieder zu Kritik. Die türkische Regierung stört das wenig, ermöglichst es der Türkei doch eine Vorreiterrolle gegenüber anderen autoritären Staaten und eröffnet mit Exporten neue Allianzen mit Ländern, die wenig Rücksicht auf die Menschenrechte nehmen.
Die völkerrechtswidrige Nutzung von Drohnen durch die Türkei selbst und der Verkauf der Technologie an andere Autokratien verletzt an verschiedenen Orten die Menschenrechte der betroffenen Menschen und Gesellschaften. Um das Unheil, das sie in die Welt tragen, zu begrenzen, braucht es endlich verbindliche, internationale Regelungen für militärische Drohnenexporte.
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