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Die letzten Wälder Mesopotamiens stehen vor der Vernichtung


Der türkische Staat zerstört die Wälder in Kurdistan. Tausende Bäume in den Regionen Cûdî, Gabar und Besta werden zur Absicherung von Militärfestungen abgeholzt. Bilder aus Şênê dokumentieren das Ausmaß der Zerstörung.

Täglich werden unzählige Bäume in Nordkurdistan abgeholzt und Wälder stehen in Flammen. Dieses Vorgehen ist Teil der Politik der verbrannten Erde, um der Guerilla die Rückzugsräume zu nehmen, aber auch Bergbauunternehmen neue Areale zu öffnen und Kollaborateuren Gewinne zukommen zu lassen. Für diesen Spezialkrieg nimmt das AKP/MHP-Regime schwerste Umweltzerstörungen in Kauf.

„Der türkische Staat ist ein Klimaverbrecher“

Die Rodungen finden unter den Augen der Sicherheitskräfte statt, und die Brände werden von ihnen gelegt, sagt Menekşe Kızıldere, Ko-Sprecherin der Ökologiekommission der Demokratischen Partei der Völker (HDP). „Der türkische Staat ist ein Klimaverbrecher. Wenn die letzten Wälder Mesopotamiens zerstört werden, ist jeder einzelne Baum, der uns noch vor der Klimakrise schützen kann, in Gefahr.“

Auch nach dem Ende der Sommerhitze brechen in Kurdistan „aus unbekannten Gründen“ Waldbrände aus. Den ganzen Sommer über wurden in den Regionen Cûdî, Gabar, Besta, Geliyê Godernê und Şênê (tr. Şenyayla) massenhaft Wälder abgeholzt. Aufgrund des ausbleibenden Protests werden die Zerstörungen immer massiver. Im Abstand von einem Jahr in Şenê aufgenommenen Bilder etwa zeigen das dramatische Ausmaß der Zerstörung. Dort wurden die Bäume „aus Sicherheitsgründen“ – für eine im Bau befindliche Militärfestung abgeholzt.


Şênê – ganzer Landstrich verwüstet

Die Region Şênê gehörte bis vor einigen Jahren noch zu Pasûr (Kulp) und lag damit innerhalb der Provinzgrenzen von Amed (Diyarbakır). Im März 2021 ließ der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan die Region per Dekret von Pasûr abtrennen. Seitdem ist Şênê Teil von Mûş. Das Gebiet ist für die Schönheit seiner Natur berühmt, und in den Sommermonaten ernährte es die Tiere vieler Nomadenfamilien. Mit der Abtrennung von Amed begann das Militär dort unter Zuhilfenahme sogenannter Dorfschützer mit dem Bau eines Stützpunkts mit mehreren Außenposten und einem Revier für die Gendarmerie. Die Militarisierung der Region hatte zur Folge, dass direkt zu Beginn der Bauarbeiten eine breite Schneise in die bergige Region für eine Militärstraße geschlagen wurde. Danach wurden auch alle Bäume in der Umgebung abgeholzt – „aus Sicherheitsgründen“, wie es hieß. Die Nomaden in der Region protestierten gegen das Vorgehen, weil sie befürchten, dass es schon bald gar keine Bäume mehr an den Hängen geben könnte. Ihr Widerspruch wurde aber ignoriert, und die Abholzungsarbeiten gingen weiter.


Cûdî – Abholzung und Waldbrände

Dass die Waldgebiete am Cûdî-Massiv in der Provinz Şirnex (Şırnak) Sommer für Sommer brennen, das weiß inzwischen jeder. Seit drei Jahren finden dort aber auch intensive Rodungsarbeiten statt. Die Bäume werden von Dorfschützerclans gefällt, in den Westen der Türkei gebracht und dort gewinnbringend verkauft. Auch Waldgebiete auf Privatgeländen sind davon betroffen. Eigentümer:innen werden vor die Wahl gestellt, die Bäume in dem Gebiet entweder selbst zu fällen oder die Rodung dem Staat zu überlassen. Vor einem Jahr hatten sich tausende Menschen an Demonstrationen zum Cûdî beteiligt, um gegen die Abholzungen zu protestieren. Die Anwaltskammer Şırnak erstattete wiederholt Strafanzeige in dieser Angelegenheit und forderte, die Waldzerstörung zu stoppen. Während alle Proteste, Anträge und Anzeigen ergebnislos blieben, zeigen Fotos das Ausmaß der Zerstörung. Die Waldbrände verstärken die Verwüstung noch.

Besta – Dorfschützerclans und Armee verwüsten Region

Die Region Besta gilt als Verbindungsglied zwischen den Provinzen Şirnex und Sêrt. Auch dort finden seit Monaten intensive Rodungsarbeiten statt. Die Wälder werden gegen den Widerstand der Dorfbevölkerung von Dorfschützern abgeholzt. Auch Bäume, die sich in Privatbesitz befinden, werden illegal gefällt, bevor sie per Traktor aus dem gebirgigen Gebiet geholt, auf Lastwägen geladen und weggebracht werden. Die beteiligten Soldaten und Dorfschützer machen kein Geheimnis daraus, dass es in Besta keine Wälder mehr geben soll. Die Fällarbeiten werden in erster Linie von Mitgliedern des berüchtigten Dorfschützerclans Babat durchgeführt.

Geliyê Godernê – Staudamm und Rodungen

Im Gebiet Geliyê Godernê bei Farqîn (Silvan) geht gerade ein Staudamm in Betrieb. Große Landflächen werden dadurch überschwemmt. Seit Jahresbeginn werden große Waldflächen von Dorfschützern abgeholzt. In der Schlucht zwischen Hezro und Pasûr soll eine Militärbasis errichtet werden, um das Passieren der Schlucht zu kontrollieren. Am Eingang der Schlucht, bis nach Pasûr, wurden tausende Bäume gefällt. Entlang der Strecke zwischen Pasûr und der Schlucht vertrocknet nun ein ganzer Landstrich. Es finden keine Aufforstungsarbeiten statt.

Acht Brände bei Licê – Sieben Brände am Cûdî

Neben der systematischen Abholzung haben auch die Waldbrände ein bedrohliches Maß angenommen. Allein in den vergangenen drei Monaten brachen bei Licê in der Provinz Amed acht Waldbrände aus, am Cûdî sieben Waldbrände. Immer wieder verhinderten Soldaten Löscharbeiten durch die Dorfbevölkerung. In den sozialen Medien veröffentlichte Videos zeigen, dass die Brände in Folge von Beschuss mit Raketen und Maschinengewehren ausgebrochen sind.

Abholzungen im Herzen von Cûdî

„Dieses Tal, in dem die Abholzung stattfindet, befindet sich im Herzen von Cûdî. Es ist ein Tal mit vielen Oberflächengewässern, jungen, feuchten Wäldern und äußerst fruchtbarem Boden. Von diesem Tal breiten sich die letzten Wälder des dürregeplagten Mesopotamiens aus. Als wir in der Region Cûdî unsere Beobachtungen anstellten, klagten die Menschen über jeden gefällten Baum“, sagt Menekşe Kızıldere.

„Region wird auf riesigen ökologischen Raubbau vorbereitet“

Kızıldere warnt davor, dass diese Abholzungen die Vorbereitung für eine noch größere Zerstörung seien: „In unseren Gesprächen mit den Dorfbewohnern bestätigten diese, dass die Brände von den Sicherheitskräften gelegt wurden. In dem Gebiet, in dem die Brände am stärksten waren, befand sich eine Ölexplorationsbohrung. Auch die Baumfällungen konzentrierten sich auf bestimmte Gebiete. Wir hatten Informationen, dass für Şirnex massiv Bergbaulizenzen vergeben wurden. Die Gebiete der Rodungsarbeiten zeigen, dass die Region für die Bergbauunternehmen abgeholzt wird. Mit Hilfe der unter dem Vorwand der Sicherheit errichteten Militärfestungen wird die Region auf einen riesigen ökologischen Raubzug vorbereitet.“

Die letzten Wälder Mesopotamiens

Kızıldere spricht eine ernste Warnung in Anbetracht der Entwaldungspolitik aus: „Die Abholzung der Wälder ist ein Versuch, alles Leben in dieser Region zu vernichten. Diese alte Region Mesopotamien, in der der Mensch die erste Landwirtschaft betrieben hat, ist von einer schweren Dürre betroffen, und die Wälder Nordkurdistans sind die letzten Wälder Mesopotamiens. Diese Wälder sind die letzten Wälder, die Kurdistan und die Türkei vor Hitzewellen schützen, deren Stärke und Intensität jedes Jahr zunehmen. Angesichts dieser Angriffe auf die Natur müssen diese Gebiete renaturiert und erweitert werden, um die Zukunft der Bäume und der Natur zu sichern.“

„Die Türkei begeht ein Klimaverbrechen“

Kızıldere weist darauf hin, dass die Türkei mit dem Ökozid in Kurdistan ein Klimaverbrechen begehe. Sie fordert die Vereinten Nationen (UN) auf, dies „auf die Tagesordnung zu setzen“. „Die Zerstörung dieser Wälder ist ein Verbrechen gegen alle Lebewesen und zukünftigen Generationen in Kurdistan und der Türkei. Nach Aussagen der Menschen vor Ort wird der Holzeinschlag unter Aufsicht der Polizei durchgeführt, und die Brände werden von der Polizei gelegt. Dies macht den türkischen Staat zu einem Klimakriminellen. Die Abholzung ist nicht nur eine Angelegenheit der nationalen Öffentlichkeit, sondern betrifft die ganze Welt.“

„Es ist höchste Zeit etwas zu unternehmen“

Kızıldere kritisiert, Schweigen bedeute Billigung dieser Umweltverbrechen und fordert, aktiv zu werden: „Der Gesellschaft muss eindringlich verständlich gemacht werden, was dieser Raubbau bedeutet, und es müssen Solidaritätsmechanismen geschaffen werden. Umwelt- und Ökologieverbände, Plattformen, demokratische Massenorganisationen und juristische Institutionen müssen diesen Kahlschlag auf ihre Tagesordnung setzen und ihre Stimme erheben. ‚Sicherheit‘ ist nur ein Vorwand, um dem Kapital zu nützen. Diese Tatsache muss aufgedeckt werden, und die vom Rassismus vergifteten Köpfe müssen davon befreit werden. Schließlich muss immer wieder betont werden: Wenn die letzten Wälder Mesopotamiens zerstört werden, ist jeder einzelne Baum, der uns vor der Klimakrise schützen wird, in Gefahr.“

 

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