Türkische Kriegsstrategie: Bis zum Verdursten

 


Europa leidet unter einer Hitzewelle – in manchen Ländern klettern die Temperaturen bereits auf 40 Grad. In Hassaka, Nordostsyrien, sind sie noch höher, gleichzeitig wird das Trinkwasser knapp. Das Leben von einer Million Menschen ist gefährdet, insbesondere von Geflüchteten. Das ist Kalkül.


An Tankwagen holt sich die Bevölkerung derzeit Wasser. Die Brunnen, aus denen das Wasser stammt, drohen aber binnen eines Monats auszutrocknen.

Wird in Deutschland das Wasser knapp? Eine Frage, die seit den ersten heißen Sommertagen die Menschen hierzulande beschäftigt. In einigen Regionen wurden aufgrund von Trockenheit und niedriger Grundwasserstände bereits Sparmaßnahmen empfohlen, in anderen die Entnahme von Wasser eingeschränkt. Mancherorts wird sogar über ein Verbot diskutiert, das die Befüllung privater Pools untersagt. Die Trinkwasserversorgung ist jedoch in ganz Deutschland gesichert – verdursten muss hier niemand.

In der Provinz Hassaka in Nordostsyrien sieht das anders aus. Die dortige akute Wasserarmut ist lebensbedrohlich und von langer Hand geplant. Die Region leidet zwar seit Jahren unter heftigen Hitzewellen und Dürren, doch die Türkei verschärft die Situation massiv: Sie hat die Hauptwasserquelle für Hassaka blockiert. Zum wiederholten Male.

Systematische Austrocknung der Region

Es ist ein ebenso altbekanntes wie brutales Vorgehen der türkischen Regierung. Seit ihrer völkerrechtswidrigen Militärinvasion „Operation Frühlingsschild“ 2019 sind einige Gebiete Nordostsyriens durch die Türkei besetzt, darunter die Wasserpumpstation Alouk in Sere Kaniye/Ras Al-Ain. Sie wird heute von einem mit der Türkei verbündeten, syrischen Milizenbündnis kontrolliert. Seitdem wurde das Wasserwerk bereits über 40 Mal über verschieden lange Zeiträume abgeschaltet und damit die Wasserversorgung von mehr als einer Million Menschen unterbrochen, die unmittelbar darauf angewiesen sind. Denn Alouk ist die Hauptquelle, die Hassaka und das Umland mit Wasser versorgt.

Erst Anfang Juni wurde die letzte Wasserblockade nach acht Monaten dank der Vermittlung von Unicef aufgehoben. Nur einen Monat später fließt wieder einmal kein Tropfen durch die Rohre. Die Türkei macht dafür die kurdische Selbstverwaltung verantwortlich, weil diese die Stromzufuhr nach Sere Kaniye/Ras Al-Ain und Tell Abyad/Girê Sipi unterbrochen habe, sodass auch das Wasserwerk ohne Strom sei. Die Selbstverwaltung hingegen weist die Vorwürfe vehement zurück.

Kurdische Selbstverwaltung erklärt Hassaka zum Katastrophengebiet

Fest steht: Die Folgen sind für die betroffene Bevölkerung gravierend und die akute Bedrohungslage ist dramatisch. Nicht nur das Trinkwasser wird knapp. Die Situation schadet Landwirtschaft und Natur. Immer wieder kommt es zu Krankheitsausbrüchen wie Cholera, weil in der Not verunreinigtes Wasser genutzt wird. Derzeit reißen  die Temperaturen in der Region die 40-Grad-Marke. Gleichzeitig sinkt der Wasserstand der Al-Hame Brunnen, auf die die Bevölkerung in den vergangenen vier Jahren angewiesen war. Etwa 80 dieser Brunnen sind für die Trinkwasserversorgung geeignet. In Tankwagen wird dieses Wasser verkauft.  

Durch die große Wassernachfrage in den letzten Wochen, insbesondere durch die steigenden Temperaturen, sind die Wasserstände in den Brunnen massiv gesunken. Binnen eines Monats drohen sie  komplett auszutrocknen. Eine humanitäre Katastrophe wäre die direkte Folge. Die kurdische Selbstverwaltung hat deshalb die Provinz Hassaka und ihr Umland, die Stadt Tell Tamer/Girê Xurma sowie die Lager für Binnenvertriebene Washokani und al-Hol zum Katastrophengebiet erklärt.

Menschenrecht umsetzen, Wasserzufuhr garantieren

Nicht nur die türkische Blockade des Wasserwerks ist ein Problem für die Wasserversorgung. Wegen eines türkischen Staudamms kommt nicht mehr genügend Euphrat-Wasser in Syrien an. Zwar verpflichtete sich die Türkei nach Fertigstellung des Staudamms 1987, im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Kubikmeter pro Sekunde des Euphrat-Wassers nach Syrien durchfließen zu lassen. Das entspricht aber schon lange nicht mehr der Realität – zuletzt waren es nur noch 170 Kubikmeter pro Sekunde.

„Wir erinnern alle Parteien daran, dass es sich bei den Wasserwerken um zivile Infrastrukturen handelt, die jederzeit geschützt werden sollten“, erklärten Imran Riza (UN Resident Coordinator and Humanitarian Coordinator für Syrien), Muhannad Hadi (UN Regional Humanitarian Coordinator for the Syria Crisis) und Ted Chaiban (UNICEF-Regionaldirektor für den Nahen Osten und Nordafrika) in einem gemeinsamen Statement im Juli 2021. Der Appell hat nichts genutzt. Die Situation heute, zwei Jahre später, ist kritischer denn je. Dabei ist es eine massive Verletzung internationalen Rechts, der Zivilbevölkerung sauberes Trinkwasser vorzuenthalten. 

Um das Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser dauerhaft für die Bevölkerung in der Provinz Hassaka sicherzustellen, muss die Wasserversorgung deshalb unter internationale Kontrolle gestellt werden. Bereits 2020 forderten lokale Organisationen die UN auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Verwaltung der Wasserstation Alouk an ein unabhängiges, spezialisiertes und ziviles Team unter internationaler Aufsicht übertragen wird. Dieses Anliegen ist nun dringender denn je. 

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