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Von Hatay nach Elbistan: Als sonst niemand da war


„Als wir uns auf den Weg in die Erdbebenregion machten, wussten wir nicht, was uns dort erwarten würde. Das Ausmaß des Schmerzes und der Zerstörung war für uns unvorstellbar.“ - Ein Erlebnisbericht nach dem Erdbeben in der Türkei vor zwei Wochen

Als wir uns auf den Weg in die Erdbebenregion machten, wussten wir nicht, was uns dort erwarten würde. Das Ausmaß des Schmerzes und der Zerstörung war für uns unvorstellbar. Unser erster Halt war Hatay und unser einziger Wunsch war es, den Schmerz und die Wut der Betroffenen zu teilen und darüber zu berichten. Wir reisten mitten in die Ungewissheit hinein, ohne geistig und körperlich darauf vorbereitet zu sein.

Das Einzige, was unsere Hoffnung auf dem Weg aufrecht erhielt, waren die Menschen, denen wir begegneten. Hunderte Autos und Lastwagen waren auf der Straße unterwegs, um den Bewohner:innen der verwüsteten Region zu helfen. Diese Menschen taten, was der Staat nicht tat und nicht tun wollte, und folgten dem Ruf nach Hilfe mit ihren eigenen Mitteln. Tausende von Menschen brachten selbst gesammelte Hilfsgüter mit eigenen oder gemieteten Fahrzeugen ins Erdbebengebiet, ohne an die Schwierigkeiten zu denken, die sie dort erleben würden. Was ich an den Rastplätzen und entlang der Straße gesehen habe, war der Wunsch der Armen und Werktätigen, miteinander solidarisch zu sein.

Den Staat sahen wir zum ersten Mal bei der Blockade von Hilfsgütern

Keine offizielle Institution des Staates, kein Verband, keine Gemeinschaft oder Stiftung, die als staatsnah bekannt ist, war in den ersten Tagen anwesend. Der Staat hatte sich klar positioniert, aber auch das Volk hatte begonnen, sich zu positionieren. Arbeiterinnen und Arbeiter organisierten sich auf die Gefahr hin, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, sammelten mit ihrem Mindestlohn Hilfsgüter, mieteten Fahrzeuge und fuhren los. Wir sahen den Staat zum ersten Mal bei der Einfahrt nach Hatay, als er Hilfstransporter anhielt. Er ließ die Arbeitsmaschinen nicht durch und zeigte seine Präsenz, um einige Hilfslieferungen zu verzögern.

Wut, Schmerz und Hilflosigkeit

Wir kamen in der Nacht in Hatay an; unsere Reise hatte aufgrund der Länge der zivilgesellschaftlichen Hilfskonvois 27 Stunden gedauert. Als ich zum ersten Mal einen Fuß in die Region setzte, wurde ich von Schmerz und Wut ergriffen. Der Geist des Schmerzes und der Wut wanderte durch die Straßen, auf denen die Menschen noch wenige Tage zuvor ihrem Alltag nachgegangen waren. Mitten im Winter, bei minus fünf Grad Celsius, versuchten die Menschen in Hatay, sich auf der Straße zu wärmen und Nachrichten von ihren Angehörigen zu erhalten, die unter den Trümmern eingeschlossen waren.

Noch am dritten Tag war der Staat abwesend

Es war der dritte Tag nach dem Erdbebens; keine staatlichen Fahrzeuge oder Vertreter waren auf den Straßen zu sehen. Oppositionelle Kommunalverwaltungen und Freiwillige suchten nach Bedürftigen und versuchten, ihnen zu helfen. Die Wut der Bevölkerung wuchs von Stunde zu Stunde, denn auch wenn die Freiwilligen kamen, wollten die Menschen den Staat vor Ort sehen. Sie verlangten Rechenschaft für die erhobene Erdbebensteuer und verfluchten den Staat, weil er nicht kam. Wir befanden uns an einem Ort, wo der Staat nicht da war, wo er nicht sein wollte. Mit Vorschlaghämmern oder mit bloßen Händen versuchten die Menschen, ihre Verwandten und Bekannten aus den Trümmern zu retten. Revolutionäre und patriotische Freiwillige versuchten ihnen zu helfen.

Wer zum Mittel gegen die Hilfslosigkeit wurde

Das Ausmaß des Schmerzes und der Verzweiflung war so groß, dass einige Menschen ihre zerstörten Häuser betraten, obwohl sie von der Gefahr wussten. Sie wollten ihre Erinnerungen einsammeln. In einem Gebiet, in dem der Staat versuchte, die Bevölkerung zu entmenschlichen und ihre Erinnerungen zu ignorieren, betraten Menschen, die ihre Vergangenheit, ihr Land und ihre Erinnerungen schützen wollten, die Ruinen. Als der Tag anbrach, traf ich inmitten von Schmerz und Wut auf diejenigen, die der Verzweiflung der Menschen abhelfen wollten. Ich sah diejenigen, die den Menschen das Gefühl gaben, nicht hilflos und allein zu sein. Revolutionäre und patriotische Freiwillige verteilten heiße Suppe und Decken und versuchten den Betroffenen in selbst errichteten Zelten zu helfen.

Sie kamen von überall her

Sie kamen von überall her, aus der ganzen Türkei und Kurdistan. Sie sagten ihre Arbeit und ihre Pläne ab und waren die ersten, die dem Hilferuf folgten. Sie beteiligten sich an den Rettungsarbeiten und versorgten sowohl die Freiwilligen als auch die Erdbebenopfer mit Unterkünften und Lebensmitteln. Sie versorgten auch kleinere Wunden mit Hilfe der freiwilligen Sanitäter:innen, die mit ihnen kamen.

Es gab revolutionäre und patriotische Freiwillige, wo der Staat nicht war und nicht sein wollte. Trotz aller ideologischen Differenzen waren sie die Ersten, die auf das Leid der Menschen reagierten. Sie waren die Ersten, die die Menschen umarmten und ihnen sagten, dass sie nicht hilflos sind. Trotz des kalten Wetters, fehlender Unterkünfte und Sanitäranlagen und trotz des Staates haben sie die Menschen nicht allein gelassen.

Alle arbeiteten zusammen

In Hatay richteten politische Parteien und Organisationen wie HDP, HDK, TIP und TÖP Hilfszonen in verschiedenen Gebieten ein und verteilten organisiert und geplant Hilfsgüter an die Menschen. Sie eröffneten in jedem Gebiet eine Krankenstation und versorgten die Menschen zusammen mit freiwilligen Sanitäter:innen mit Medikamenten. Obwohl sie sich ideologisch voneinander unterschieden, arbeiteten sie koordiniert, wenn es darum ging, den Menschen zu helfen. Das Vertrauen der Bevölkerung in sie wuchs, als sie sahen, dass die Organisationen auch miteinander solidarisch waren. Nicht nur die Bevölkerung, sondern auch das vom Staat am vierten Tag entsandte Militär setzte notgedrungen auf die Zusammenarbeit mit revolutionären Organisationen.

Es gefiel dem Staat nicht

Die Freiwilligen gingen oft hungrig zu Bett, schliefen in der Kälte und bemühten sich, das letzte bisschen an Hilfe an die Menschen zu verteilen. Alle sahen diese Anstrengungen, diese beharrliche Hilfe. Natürlich gefiel dem Staat diese Situation nicht. Es gab Provokationen und Angriffsversuche. Das reichte nicht aus, es wurden polizeiliche Antiterroreinheiten und speziell ausgewählte Militärpolizisten eingesetzt. Als das noch nicht genug war, wurden als regierungsnah bekannte Gemeinden, Vereine und Stiftungen vor Ort eingesetzt. Sie begannen mit schwarzer Propaganda gegen die revolutionären Freiwilligen, aber das fand kein Echo in der Bevölkerung. Die Menschen kamen beharrlich in die Gebiete, in denen sich die Freiwilligen aufhielten. Sie vertrauten ihnen, beteiligten sich an ihren Plänen und teilten alles mit ihnen.

Von Hatay nach Elbistan

Als ich von Hatay nach Elbistan reiste, stellte ich fest, dass die dortige Situation noch viel schrecklicher war, als sie beschrieben wurde. Die Temperatur in Elbistan fiel nachts auf minus 25 Grad. Es war unmöglich, sich bei dieser Kälte im Freien aufzuhalten. Trotzdem leisteten HDP, HDK, TIP und Partizan in gegenseitiger Abstimmung Hilfe für die Bevölkerung. Zunächst wollten sie das Problem der Unterbringung der Menschen lösen. Sie verteilten Zelte und Öfen und ermittelten den Bedarf in den Wohnvierteln und Dörfern. Dementsprechend wurden Hilfstransporte organisiert. Selbst wenn nur eine Flasche Wasser angefordert wurde, zogen die Freiwilligen los, ohne zu sagen, dass sie müde waren. Was ich sah, waren Menschen, die selbst nichts von den verteilten Mahlzeiten aßen und nach dem Frühstück bis zum Abend auf Essen verzichteten. Sie halfen nicht nur den Menschen, sondern auch den Tieren auf der Straße, die inmitten der Zerstörung niemand gesehen hatte. Sie teilten ihr Essen mit den Tieren und sie heilten ihre Wunden.

Ich weiß, es gäbe noch viel mehr zu sagen, viel mehr zu erzählen, aber manchmal findet man nicht die richtigen Worte. Mutter Zöre, eine 65-jährige Frau in Elbistan, hat es so ausgedrückt: „Ihr seid gekommen, als niemand sonst da war. Möge Gott euch uns niemals vorenthalten."

 

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