Kommentar: Russland inszeniert Komplott gegen Rojava
Russland zwingt Damaskus und Ankara zu einem Kompromiss und versucht gleichzeitig, die Selbstverwaltung durch die Drohkulisse der Türkei zu disziplinieren. Zu diesem Plan könnte auch ein türkischer Angriff auf Kobanê gehören.
Von Zeit zu Zeit gibt der russische Außenminister Sergej Lawrow, um das politische Klima in Syrien anzuheizen, Erklärungen wie „Die USA wollen, dass die Kurden einen Staat gründen“ ab. Lawrow selbst ist einer derjenigen, die am besten wissen, dass dies nichts ist, was die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien und die kurdische Bevölkerung wollen. Auch in von Russland ausgearbeiteten Lösungsvorschlägen wurde eine „kulturelle Autonomie“ der Kurd:innen definiert. Die kurdische Seite hat immer wieder klargestellt, dass sie die territoriale Integrität Syriens nicht in Frage stellt und unter Wahrung ihrer Identität und Kultur eine Demokratisierung des ganzen Landes fordert. Diese Forderung lässt Lawrow offensichtlich bewusst unter den Tisch fallen.
Russland könnte leicht zu einer Lösung beitragen
Wenn Russland sein Gewicht in die Waagschale werfen würde, könnte es leicht zu einer Einigung in Syrien kommen. Die Selbstverwaltung akzeptiert die Vermittlung Russlands und legte ihren Lösungsrahmen und ihre Forderungen sowohl mündlich als auch schriftlich vor. Dennoch schiebt Russland diese Frage immer wieder auf, denn es verfolgt eine andere Agenda.
Kein Wort des Bedauerns über türkische Massaker
In Gesprächen mit den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) hatte Russland erklärt, dass es Luftverteidigung bereitstellen und Radarsysteme an Orten wie Qamişlo und Til Temir installieren lassen würde. Die QSD hatten diese Vorschläge unterstützt. Aber diese Radaranlagen haben aus naheliegenden Gründen bei türkischen Angriffen nie funktioniert. Der türkische Staat verletzt ständig den Luftraum, greift mit Drohnen an und verübt Massaker. Am 20. November bombardierten Dutzende von Flugzeugen die Region. Dabei wurden sowohl Zivilist:innen als auch Soldaten der syrischen Armee getötet. Ölfelder, Gasanlagen und Getreidelager wurden getroffen. Von Russland war keine Stellungnahme zu hören. Nicht einmal eine Beileidsbekundung für die Menschen in der Region und die QSD wurde ausgesprochen.
Russland zwingt Assad Erdoğan auf
Russland hat praktisch keine Bemühungen für Gespräche zwischen der Selbstverwaltung und Damaskus angestrengt und versucht jetzt, Assad zu einer Verständigung mit Erdoğan zu zwingen. Das zeigt, dass Russland kein echtes Interesse an einer Einheit Syriens hat. Diese wäre durch eine Einigung zwischen Selbstverwaltung und Regime garantiert und die türkischen Besatzungstruppen und ihre Söldner würden unter massiven Druck geraten. Ihre Legitimation würde außerdem vollkommen zusammenbrechen. Aber Russland tut das nicht. Im Gegenteil, Russland benutzt die Drohung mit der Türkei, um die Selbstverwaltung unter Druck zu setzen. Auf diese Weise versucht Russland Schritt für Schritt, die Selbstverwaltung zur Übergabe an das Regime zu zwingen.
Das Beispiel Efrîn gilt als Drohkulisse. Weil Efrîn nicht an das Regime übergeben wurde, sei die Türkei dort eingefallen. Gleichzeitig liegt der Schwerpunkt Russlands auf einer Verständigung zwischen Assad und Erdoğan. Im Ergebnis stellt dies ein antikurdisches Komplott dar: Die Türkei wird Gebiete wie Kobanê angreifen und die syrische Armee wird in einige Zentren eindringen, in denen Araber die Mehrheit bilden, und die Macht übernehmen. Das ist der Plan. Die selbstverwaltete Region soll aufgelöst und der Status quo ante 2011 wieder hergestellt werden.
Die Türkei kann nichts allein unternehmen
Russland hat nicht die Absicht, in Nordostsyrien etwas zu unternehmen, solange die USA Syrien nicht verlassen haben. In dieser Frage wird sich mit der Türkei abgestimmt. Die Türkei hingegen kann ohne die USA nicht in Syrien bleiben und Idlib nicht militärisch schützen. Der türkische Staat kann in Syrien nicht einmal allein Luft holen. Daher befürwortet die Türkei den Verbleib der USA in Syrien, möchte aber, dass sie ihre Beziehungen zur QSD kappen. Da Russland das weiß, wird ständig behauptet, dass die USA die Kurden zur Gründung eines eigenen Staates motivieren. Damit provoziert Russland sowohl Damaskus als auch die Türkei.
Es geht um einen Angriff auf Kobanê
Aufgrund des Krieges in der Ukraine ist Russland nun gezwungen, der Türkei mehr Zugeständnisse zu machen. Auch die Türkei verfolgt eine äußerst opportunistische Politik. Die NATO-Beitrittsanträge Schwedens und Finnlands wurden dadurch sofort zu einem Mittel, gegen Kurdinnen und Kurden vorzugehen. Die Türkei fordert von Russland, Kobanê angreifen zu dürfen. Orte wie Minbic könnten an das Regime übergeben werden. Die Türkei geht davon aus, dass die USA ohnehin nichts im Sinne der Selbstverwaltung unternehmen würden. Außerdem würde durch eine Destabilisierung der Selbstverwaltung der Kampf gegen den IS praktisch eingestellt werden und die USA in eine Sackgasse geraten. Diese Situation würde Damaskus und Russland nutzen. Der türkische Staat will sein Ziel, die Kurd:innen zu vernichten, verwirklichen. Die Kurd:innen und die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien sind in diesem Sinne mit einem neuen gefährlichen Komplott konfrontiert.
Der Kommentar von Zekî Bedran ist zuerst in der Zeitschrift Ronahî erschienen.
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