Reportage aus Iran (3): In Mahabad werden die Menschen nicht zurückweichen
Seit über zwei Monaten sind die Menschen in Rojhilat und Iran auf der Straße. Der Journalist Abdurrahman Gök berichtet im dritten Teil seiner Reportage von seinen Eindrücken aus Mahabad.
Der Journalist Abdurrahman Gök berichtet für die Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) seit einigen Tagen aus Iran und Rojhilat (Ostkurdistan) über die aktuelle Situation. Im dritten Teil seiner Reportage vom 28. November schreibt er:
Ich mache mich auf den Weg nach Mahabad, das ich zum Teil kenne, da ich es schon zweimal besucht habe. Ich denke, dass ich keine großen Schwierigkeiten haben werde. Während der 140 Kilometer langen Fahrt höre ich dem Taxifahrer zu, der ab und zu über die Proteste im Land spricht und die Städte von Rojhilat erwähnt. Der Fahrer, der selbst aus Neqede stammt, einer Stadt zwischen Mahabad, Ûrmiye (Urmia) und Pîranşar (Piranschahr), erzählt mir, dass die Menschen in Mahabad, Bokan, Pîranşar, Seqiz (Saqqez) und Sine (Sanandadsch) ständig protestieren. Manchmal bestätigen seine Worte die Aktionen, und manchmal erzeugen seine Sätze wie „die Touristen kommen wegen der Proteste nicht" ein Gefühl des Misstrauens. Also tue ich so, als wüsste ich so wenig wie möglich. Er sagt, ich könne ihn anrufen, falls ich mal ein Auto brauche, und gibt mir seine Telefonnummer. Er fragt auch nach meiner Telefonnummer. Ich sage, dass ich noch keinen Telefonanschluss bekommen konnte, und gebe ihm meine Nummer nicht.
Vorbei am ausgetrockneten Ûrmiye-See
Während der Fahrt kann ich meinen Blick nicht vom Ûrmiye-See abwenden, der zu meiner Linken liegt und mir mit seinem ausgetrockneten Erscheinungsbild das Herz bricht. Der See, der größte Salzsee im Nahen Osten und der sechstgrößte Salzsee der Welt, gleicht einem brachliegenden Feld, da an allen Bächen, die diesen See speisen, Dämme gebaut wurden und falsche Bohrungen vorgenommen wurden.
Am Stadteingang von Mahabad befindet sich eine Polizeistation. Der Fahrer sagt, dass diese Polizeistelle hauptsächlich den Schmuggel kontrolliert. Nachdem ich den Punkt passiert habe, sehe ich am Eingang der Stadt ein Modell eines Kampfflugzeugs, das auf einem Sockel steht.
Am Busbahnhof steige ich in ein anderes Taxi, um ins Stadtzentrum zu fahren. Ich bitte darum, mich zum Çarçira-Platz zu bringen. Obwohl der Name des Platzes, auf dem Qazî Mihemed hingerichtet wurde, in Platz der Islamischen Republik geändert wurde, nennen ihn die Leute entweder Çarçira-Platz oder Platz der Stadtverwaltung. Als ich auf der Talaghani Gharbi Straße in Richtung Molla Cami Platz fahre, sehe ich auf der linken Seite eine in Brand gesetzte Bankfiliale. Am 27. Oktober soll diese Filiale der Refah Bank während der Proteste nach der Beerdigung von Esmaeil Simko Mauludi in Brand gesetzt worden sein. Einige berichten auch, dass die Bank von den Demonstrierenden mit Steinen beworfen und dann von den Pasdaran, die das Feuer auf die Menschen eröffneten, angezündet wurde. In den Geschäften in der Arkade direkt gegenüber der Bank sind noch Spuren von Kugeln zu sehen.
Der Sandtorf auf dem Dach der Sepah Bank, einer anderen Bank in der Nähe, ist immer noch da und erinnert daran, dass die dort stationierten Streitkräfte während der Demonstration am 27. Oktober das Feuer auf die Menschen eröffneten. Am selben Tag erfahre ich, dass an einigen anderen Orten in der Stadt Regierungsbüros niedergebrannt wurden und dass die Bevölkerung sich hinter die jungen Menschen stellte, die ihr Leben verloren haben. Die Masten mit den Überwachungskameras wurden zerstört, was das Ausmaß der Proteste zeigt.
„Jin Jiyan Azadî", „Jina Amini" und „Tod dem Diktator" steht überall geschrieben, von belebten Straßen bis zu Gassen. Es scheint jedoch, dass auch die Regimekräfte nicht untätig sind. Wenn es Abend wird, wischen Gemeindeangestellte und Zivilpolizisten mit Farbe in der Hand die Schriftzüge weg, vor allem auf den Hauptstraßen.
Beginn der Proteste in Mahabad
Die Proteste, die am 19. September unmittelbar nach dem Tod von Jina Amini in Mahabad begannen, haben sich immer mehr ausgeweitet. Ich treffe mich mit einer Gruppe junger Leute, die vom ersten Tag an an den Protesten beteiligt waren, um die letzten zwei Monate in der Stadt zu bewerten.
Die Jugendlichen erzählen, dass die erste Demonstration in Mahabad am 19. September mit 15 Teilnehmenden in der Shapur-Straße begann. Seitdem haben die Demonstrationen im Einklang mit der Steigerung der staatlichen Gewalt zugenommen: „Die größte und teilnehmerstärkste Demonstration in Mahabad fand nach der Ermordung von Esmaeil Simko Mauludi statt. Als Simko am 26. Oktober fiel, riefen seine Mutter und sein Bruder in der Moschee an, und die Menschen blieben an diesem Tag nicht gleichgültig gegenüber dem Ruf der Familie. Der iranische Geheimdienst drohte der Familie, den Leichnam noch in derselben Nacht zu begraben, aber die Familie und die Menschen, die sich auf den Aufruf der Familie hin in der Moschee versammelt hatten, beugten sich diesen Drohungen nicht und wachten bis zum Morgen über Simkos Leichnam in der Moschee.
Als sie dies hörten, versammelten sich bei Sonnenaufgang Menschen aus Mahabad im Alter zwischen sieben und 70 Jahren vor der Moschee. Sie füllten die Straßen vom Sihet-Platz (die Leute nennen den Platz Heywanan, weil hier früher ein Tiermarkt stattfand) bis zum Çarçira-Platz. Menschen aus allen Gesellschaftsschichten nahmen an diesem Aufmarsch teil. Nach dieser Demonstration am 27. Oktober wurde Simko unter Parolen beerdigt und die Menschen marschierten vom Friedhof ins Stadtzentrum, in Richtung Fermandarî (Landratsamt). Sowohl die an den Ecken stationierten Jahsh (Dorfwächter) als auch die Basidsch und Pasdaran eröffneten das Feuer auf die Menschen. Bei diesen Anschlägen wurden sechs namentlich bekannte Personen getötet und Dutzende von Menschen verwundet."
Die Wut wächst mit jedem Tod
Die Jugendlichen sagen, dass Simko während der Teilnahme an den Protesten für Jina Amini getötet wurde und dass Mesûd Ehmedzade, Shaho Xizrî, Kubra Şêxa Seqa, Ferîşta Ehmedî und Zanyar Ebûbekirî am 27. Oktober getötet wurden, weil sie zu den Zehntausenden von Menschen gehörten, die sich gegen die Ermordung von Simko gewehrt haben. Sie betonen, dass ihre Wut auf das Regime wächst, während dieses immer rücksichtsloser gegen ihre Wut vorgeht.
Zwei junge Leute aus der Gruppe beschreiben den Tag, an dem Simko sein Leben verlor, wie folgt: „Unser Freund Simko wurde in der Nähe des Mela-Xelîl-Platzes erschossen. Unmittelbar unterhalb des Platzes befand sich ein Polizeiposten, von dem aus das Feuer auf ihn unterhalb der linken Brust eröffnet wurde, sodass er auf der Stelle starb."
Die Jugendlichen erklären auch die Bedeutung des Ortes, an dem Simko erschossen wurde: „Viele Jahre lang hat es in dieser Straße zahlreiche Proteste gegeben. Vor 15 oder 16 Jahren wurde ein junger Mann aus Mahabad namens Shiwan Seyidqadir von der Polizei wegen eines Justizdelikts erschossen, und anschließend missachtete die Polizei die Beerdigung dieses jungen Mannes. Die Menschen von Mahabad waren auf die Straße gegangen, um das Verhalten der Polizei zu verurteilen, und hatten sich auf die Seite der Jugendlichen gestellt. Aus diesem Grund ist diese Straße im Volksmund als Shiwan-Seyidqadir-Straße bekannt und war seither Schauplatz zahlreicher Demonstrationen. Dort begannen auch die Proteste für Jina, und Simko wurde in dieser Straße erschossen."
Die Menschen werden mutiger
Nach der Ermordung von Jina Amini wurde im gesamten Iran zum Streik aufgerufen, und die Ladenbesitzer protestierten, indem sie ihre Läden jeden Samstag nicht öffneten. In den Städten Rojhilats wurde der Streik nicht nur samstags, sondern auch mittwochs organisiert. Die jungen Leute, die ich zu dieser Situation befragt habe, sagen Folgendes: „An den Tagen des Streiks öffnen die Händler auf den Märkten und Basaren ihre Läden nicht. Es ist das erste Mal in der Geschichte von Rojhilat, dass ein Streik so lange gedauert hat. Eigentlich begann der erste Streik in den Schulen. Die Schüler boykottierten die Schulen, und diese Welle griff auf den Basar und den Markt über. Die Schulen können einen wichtigen Beitrag zum Abbau dieser Angst leisten. Die Menschen, die anfangs Angst vor der Schließung ihrer Geschäfte hatten, äußern jetzt mutiger ihre Einwände."
An einem Nachmittag in Mahabad beobachte ich, wie die Ladenbesitzer einer nach dem anderen ihre Fensterläden herunterlassen. Als ich frage, warum alles geschlossen ist, obwohl es nicht Samstag oder Mittwoch ist, antwortet mir später ein Ladenbesitzer: „Wenn die Nachricht kommt, dass jemand, der bei den Protesten verletzt wurde, aber zu Hause oder im Krankenhaus behandelt wurde, gestorben ist, lassen die Menschen aus eigenem Antrieb die Rollläden herunter, um gegen diese Situation zu protestieren. An dem Tag, den du erwähntst, kam die Nachricht, dass Faiq Mamqaderi, der seit etwa einem Monat im Krankenhaus behandelt wurde, gestorben ist.“
Auf meine Frage, wann und bei welchen Protesten Faiq Mamqaderi verletzt wurde, gibt er die folgenden Informationen: „Faiq wurde nicht wirklich bei bei einer Aktion verletzt. Als er die Nachricht erhielt, dass iranische Streitkräfte mitten in der Nacht das Haus seiner Familie überfallen hatten, stieg er mit einem Freund in sein Auto und fuhr zu dem Haus. Vor dem Haus seiner Familie schoss die Polizei auf das Auto, wobei die zwei Personen im Auto verwundet wurden. Der Freund von Faiq erholte sich nach der Behandlung, während Faiq in ein Krankenhaus in Ûrmiye gebracht wurde, wo er starb."
Internet- und Stromausfälle als Bestrafung
Während der Proteste in Mahabad kommt es häufig zu Internet- und Stromausfällen. Am 10. November, als der Leichnam von Faiq Mamqaderi beigesetzt wurde, erlebte ich zwei Tage lang Stromausfälle. Als ich nach den Gründen fragte, wurde mir gesagt, dass die Regierung zu solchen Methoden greift, um die Menschen zu bestrafen.
Forderungen gehen über die Zwangsverschleierung hinaus
Ich treffe mich mit einer Gruppe junger Studierender. Mit der Bemerkung, dass die Proteste im Zusammenhang mit dem Zwang zur Verschleierung starteten, der zu Jinas Ermordung führte, frage ich nach der aktuellen Situation. Sie antworten: „Das iranische Volk hatte die Hoffnung auf Veränderung aufgegeben. Die Ermordung von Jina und die Bekanntmachung dieses Ereignisses trotz allen Drucks haben jedoch die Angst gebrochen. Es stärkte das Gefühl der Menschen, dass es nichts gibt, was über den Tod hinausgeht, und sie brachten immer mehr den Mut auf, alle ihnen entrissenen Rechte einzufordern. Dieser Kampf geht inzwischen über den Widerspruch gegen die Zwangsverschleierung hinaus und ist zu einem Kampf für die Freiheit geworden. Natürlich muss man auch anerkennen, dass diese Suche ihren Ursprung in ,Jin Jiyan Azadî' hat."
Menschen jeden Alters wollen Freiheit
Ich frage die Universitätsstudierenden, ob die Bevölkerung Angst habe, gerade angesichts der Verlegung von Regimekräften, motorisierten Einheiten, gepanzerten Fahrzeugen aus Städten wie Ûrmiye oder Täbriz nach Mahabad. Sie antworten: „Unmittelbar nach der Ermordung Simkos wurden 60 Motorräder, acht Pick-Ups und 300 bewaffnete Männer von Ûrmiye nach Mahabad gebracht und in Schulen und Moscheen platziert. Obwohl die Menschen das sahen, zogen sie sich nicht von den Straßen zurück. In den vergangenen zwei Monaten wurde in den Städten von Rojhilat eine wichtige Schwelle überschritten. Heute rufen selbst dreijährige Kinder auf den Straßen, in ihren Häusern und auf dem Basar die Slogans ,Tod dem Diktator' und ,Jin Jiyan Azadî'. Denn das ist überall das einzige Thema. Früher gab es die Redewendung ,von sieben bis 70'. Dies hat sich auch in Rojhilat geändert. Vom dreijährigen Kind bis zum Siebzigjährigen schreien die Menschen nach Freiheit. Die neue Generation will und wird sich nicht mit einer halbherzigen Freiheit zufrieden geben. Sie will volle Freiheit. Und das findet sich in dem Slogan ,Jin Jiyan Azadî' wieder. Wenn wir mit unseren Freundinnen und Freunden über diese Situation sprechen, kommen wir zu der Feststellung, dass wir uns an einem Punkt befinden, der die Französische Revolution übertrifft."
Alle sind Vorreiter:innen
Auf meine Frage, wer diese Proteste anführt, antworteten die Jugendlichen: „Wir haben es mit einem Aktionsstil zu tun, der keine Führung hat, alle spielen eine führende Rolle. Ja, es begann mit den Studierenden, aber die Öffentlichkeit ließ keine Ruhe, und jetzt können wir feststellen, dass die Proteste auf ihre eigene natürliche Weise weitergehen. Das ist sehr wichtig. Mit anderen Worten, es ist ein Aufstand, bei dem alle, die etwas dagegen haben, auf die Straße gehen, ohne dass jemand die Führung übernimmt. Wir werden jedoch sehen, was in Zukunft passieren wird. In dem Maße, wie das Regime seine Gewalttätigkeit erhöht, können sich beispielsweise Organisationen auf der Grundlage der Selbstverteidigung gegen das Regime formieren, was auch tatsächlich der Fall ist. Das Volk von Rojhilat hat Kampferfahrungen. Das ist seit 1946 eine Tradition, die bis heute andauert. Die Menschen wollen jedoch mit ihren Einwänden und Aktionen auf der Straße Ergebnisse erzielen. Natürlich reagiert der iranische Staat auf diese legitimen Forderungen der Bevölkerung mit einer Erhöhung der Gewaltdosis, und wenn das so weitergeht, dann wird sich die Farbe dieses Aufstandes natürlich ändern. Denn diese Menschen haben in den letzten zwei Monaten gezeigt, dass sie nicht nachgeben werden, und das Regime muss das erkannt haben."
Alle müssen für ihre Rechte eintreten
In der Erwartung, eine andere Antwort zu erhalten, fragte ich die jungen Studierenden: „Inwiefern unterscheiden sich diese Proteste von denjenigen von 2009 und 2019?" Hier erhielt ich jedoch dieselbe Antwort wie in jeder anderen Stadt: „Bisher waren die Proteste gegen die Islamische Republik Iran fragmentiert. Die Nachbarstädte standen den Protesten, die in den Großstädten ausbrachen, von Zeit zu Zeit gleichgültig gegenüber. Oft reagierten die zentralen Städte gleichgültig auf die Proteste, die in den peripheren Städten begannen. Dies führte dazu, dass die Proteste nur von kurzer Dauer waren. Die Ermordung von Jina, einer kurdischen Frau, in Teheran, der Hauptstadt der Islamischen Republik, hat jedoch eine starke Reaktion der kurdischen Bevölkerung hervorgerufen. Diese Reaktion breitete sich auf den gesamten Iran aus, als sie von Frauen unterstützt wurde, die ihre Proteste gegen die Sittenpolizei in iranischen Städten fortsetzten. Von Zeit zu Zeit hört man in anderen iranischen Provinzen Slogans, die den Mut des kurdischen Volkes loben. Das ist wichtig und gut, aber es geht hier nicht darum, unseren Mut zu loben. Es handelt sich um einen Angriff auf die Rechte aller iranischen Völker, und alle in diesem Land sind verpflichtet, diese zu verteidigen.
Schulter an Schulter Widerstand leisten
Der Slogan ,Aserbaidschan ist aufgewacht und an der Seite Kurdistans', der von Täbris ausgeht, ist sehr wichtig. Dies sollte jedoch nicht nur eine Botschaft der Solidarität sein. Sie sollte direkt in die Forderung nach Veränderung einbezogen werden. Jede Iranerin und jeder Iraner, die sich von dieser Tyrannei und Unterdrückung befreien wollen, sind Träger:innen dieses Aufstands und sollten sich mit diesem Bewusstsein daran beteiligen. Im Jahr 2019 waren die Proteste gegen die Erhöhung der Benzinpreise am 15. und 16. November die umfassendsten Proteste nach der Revolution von 1979. 1.500 Menschen verloren dabei ihr Leben. Diese Proteste blieben jedoch aufgrund einer uneinheitlichen Haltung ergebnislos. Jetzt ist die Situation völlig anders, und es gibt einen Widerspruch, der über diese Proteste hinausgeht. Diese Einwände sind nicht nur die Einwände einer Klasse, einer Religion, einer Sekte, einer Nation oder einer Provinz. Sie sind die Einwände des Iran als Ganzes. Daher stehen diese Aufstände unter keinem Joch. Es gibt nur einen Slogan, und das ist das allumfassende ,Jin Jiyan Azadî'. Alle Völker, alle Ethnien können unter diesem Slogan ihre Vertretung finden. Deshalb breitet er sich immer mehr aus.“
„Es werden Kurden von Kurden getötet"
Es gibt noch einen weiteren wichtigen Punkt, den alle in Mabahad erwähnt haben: Die Frage der Dorfwache. Der Mann neben mir deutet auf die Gruppen von drei bis fünf Personen, die ich an einigen Straßenecken gesehen habe, und sagt: „Das sind Mangur oder Jahsh." Als ich ihn frage, was Mangur ist, gibt er folgende Auskunft:
„Historisch gesehen sind die Mangur ein kriegerischer und halbnomadischer kurdischer Stamm. Es ist ein großer Stamm in der Region Mukriyan. Zwischen 1925 und 1941 war er einer der wenigen Stämme, die sich gegen Reza Schah Pahlavi, den Schah von Iran, auflehnten. Der Stamm der Mangur gehörte zu den Stämmen, die 1946 die Republik Kurdistan unterstützten. Nach der Hinrichtung von Qazî Mihemed und seinen Freunden zog er sich jedoch zurück. Ein kleiner Teil dieses Stammes fungiert derzeit als Leibwächter für das iranische Regime. Doch obwohl dies nur ein sehr kleiner Zweig des Stammes macht, sind sie unter dem Namen bekannt. Sie leben in einem separaten Viertel in Mahabad und haben etwa zweitausend bewaffnete Mitglieder. In den ersten Tagen der Proteste standen sie sogar mit schweren Waffen in ihrem Viertel Wache, und anfangs waren sie es, die direkt auf die Menschen schossen. Das iranische Regime versucht in Rojhilat das zu tun, was auch in anderen Teilen Kurdistans getan wurde. Es werden Kurden von Kurden getötet. Zum Beispiel wurde Shaho Xizri durch die Kugel eines Jahsh getötet."
Das Regime zeigt seinen kolonialistischen Charakter
Ich spreche mit einem bekannten und beliebten Einwohner Mahabads, der eine kurze und prägnante Einschätzung abgibt: „Sehen Sie, das Regime weiß sehr genau, was es tut. Es kennt auch die Kurden. Als zum Beispiel die Proteste in Teheran und einigen anderen Städten begannen, hat das Regime das Ausmaß der Gewalt kontrolliert. Die Menschen wurden mit Gummigeschossen angegriffen. In Kurdistan ist die Situation jedoch anders. Sie griffen die Menschen mit Waffen an, die leicht zu leugnen waren. Die Menschen wurden mit Schrotflinten beschossen, und einige, die aus nächster Nähe getroffen wurden, wurden so getötet. Als jedoch festgestellt wurde, dass die Bevölkerung keine Angst hat, kamen direkt Kalaschnikow zum Einsatz. Kurz gesagt: Während das iranische Regime in Teheran sein faschistisches Gesicht zeigt, offenbart es in Mahabad und anderen Städten von Rojhilat seinen Besatzungscharakter. Das wissen auch die Menschen und fordern deshalb einen Wechsel des Regimes."
„Dieses Mal werden sie keinen Erfolg haben“
Mein Gesprächspartner lenkt die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema und erklärt die Tötung von Jugendlichen in Kurdistan mit einem Beispiel aus der Geschichte: „Im Jahr 1984, im fünften Jahr der Revolution, wandte sich der Staat, der begonnen hatte, seine Macht zu etablieren, gegen Kurdistan und 59 Menschen wurden in Mahabad hingerichtet. Drei oder vier von ihnen waren etwa 40 Jahre alt. Alle anderen waren 15 bis 17 Jahre alte Jugendliche. Der Staat hat es nicht umsonst auf die widerstandsfähigsten und fortschrittlichsten Mitglieder dieses Volkes abgesehen. Aber dieses Mal wird er keinen Erfolg haben.“
Infolge der verstärkten Proteste zwischen dem 16. und 21. November starben Azad Husseinpur und Muhemmed Ehmadi Gagesh in Mahabad durch das bewaffnete Eingreifen der Regimekräfte. Shamal Xadirî, der bei den Protesten schwer verwundet und in ein Krankenhaus in Ûrmiye gebracht wurde, starb am 24. November. Die Regimekräfte führen vor allem nachts Hausdurchsuchungen durch und nehmen Menschen gewaltsam fest. Mit der Zunahme der Gewalt nehmen auch die Durchsuchungen zu und oft ist nicht einmal bekannt, wohin die meisten Gefangenen gebracht werden.
Abdurrahman Gök ist Fotoreporter und auch international für seine journalistische Arbeit bekannt, unter anderem für seiner Bilder der im August 2014 vor dem Genozid des selbsternannten IS ins Şengal-Gebirge geflohenen ezidischen Bevölkerung. Außerdem erfuhr die Öffentlichkeit nur dank seines Einsatzes, dass es sich beim Tod des jungen Kunststudenten Kemal Kurkut, der im März 2017 am Rande der Newroz-Feierlichkeiten in Amed von einem Polizisten erschossen worden war, in Wahrheit um vorsätzlichen Mord handelte. Gök hatte acht Mal auf den Auslöser seiner Kamera gedrückt und dokumentiert, dass die offizielle Version, wonach Kurkut ein „Selbstmordattentäter“ gewesen sei, von der Polizei nur erfunden wurde.
Im Original erschien der dritte Teil der Reportage über die Reise in den Iran am 27. November.
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