Die indigene Aktivistin Lolita Chávez auf der Frauenkonferenz
Die indigene Aktivistin Lolita Chávez berichtet über den Kampf und die Ideologie ihrer Bewegung, über ihr Verhältnis zur kurdischen Frauenbewegung und verschiedene Feminismen von unten.
Aura Lolita Chávez Ixcaquic ist Mitglied des Consejo de Pueblos Kiche (CPK), einer Bewegung von Völkern und Gemeinschaften gegen Patriarchat, Imperialismus, Kolonialismus, Neoliberalismus und Extraktivismus, die 2007 gegründet wurde, um die Auswirkungen der geplanten Amerikanischen Freihandelszone FTAA der Staaten Nord-, Süd- und Mittelamerikas zu bekämpfen. Sie ist eine internationale Vorkämpferin im Kampf für den Schutz der natürlichen Ressourcen und lebt seit fünf Jahren im Baskenland.
Das Interview wurde im Rahmen der Internationalen Frauenkonferenz in Berlin Anfang November geführt.
Gemeinschaft, Leben, Mutter Natur, Boden und Schutz des Bodens – diese Begriffe und deine farbenfrohe Kleidung erinnern an das matriarchale Leben. Welche Rolle spielen die K'iche-Völker in diesem Leben? Und welcher Art von Bedrohung sind sie heute ausgesetzt?
Nun, wir sind ein jahrtausendealter Ausdruck dieser. Wir haben unsere eigene Zeitrechnung, den Maya-Kalender. Wir haben ein soziales Gefüge, um das wir uns seit mehr als 5000 Jahren gekümmert haben. Es ist das soziale Gefüge der K'iche-Kosmovision der Maya. Wir sind ein gemeinschaftliches Gebilde des Territorium und wir kümmern uns um dieses Territorium, wir kümmern uns um die Mutter Erde, so wie wir uns um uns selbst kümmern, denn wir sind Erde, wir sind Wasser, wir sind Luft und Feuer. Dies ist das heilige Band, und deshalb sind wir antiimperialistisch, antipatriarchalisch und antiextraktivistisch. Wir verteidigen das Leben und die Erde mit unserem Leben.
Du wurdest kriminalisiert, mit dem Tod bedroht, sogar angegriffen und ins Exil gezwungen, weil du das Land der Menschen der K'iche gegen die Ausbeutung durch staatlich geförderte Unternehmen verteidigt hast. Hast du nach diesem Prozess daran gedacht, sich in eine Nische zurückzuziehen?
Der Staat Guatemala ist ein rassistischer Staat. Ich bin angegriffen und verfolgt worden. Der Staat hat in Berichten der Polizei und der Armee behauptet, ich sei eine Terroristin. Ich bin keine Terroristin, wir verteidigen unser Land.
Als ich ins Exil ging, dachten sie, sie würden mich zum Schweigen bringen, weil sie viel Angst erzeugt hatten, indem sie sechs Mal versuchten, mich mit Waffengewalt zu ermorden, aber es gelang mir, herauszukommen und weiterzumachen.
Was gibt dir Kraft? Auf welche Weise hast du deiner Stimme in deinem Volk Gehör verschafft?
Was gibt mir Kraft da draußen? Dass ich mich mit Bewegungen verbinde. Deshalb begrüße ich die kurdische Frauenbewegung, denn durch ihre populäre Bildung der Jineolojî geben sie uns diese Kraft, die Kraft, dass wir nicht allein sind. In anderen Gebieten gibt es Kämpfe, es gibt viel Kraft gegen diese Gesellschaften des Todes. Viele der Unternehmen sind europäisch, und ich bin nach Europa gekommen, um ihre Unternehmen an ihrem Ursprungsort anzuprangern. Von hier aus brechen sie auf, um dort einzudringen.
Sie benutzen auch Waffen, deshalb prangern wir Kriege an. Mein Volk hat unter einem Genozid gelitten, sie haben versucht, mein Volk, das Volk der K'iche, auszurotten. Es gab Bombardierungen, sie zerstörten Land, es gab Verschleppungen und systematische Vergewaltigungen. All das haben wir angeprangert. Die Stärke meines Volkes gibt mir Kraft, denn mein Volk kämpft weiter. Auch wenn ich nicht mehr da bin, macht das Volk weiter.
Wie kann man gegen ein System kämpfen, das die Existenz der Völker nicht anerkennt und sie verarmen lässt?
Wir waren in der Lage, einen autonomen Prozess der freien Selbstbestimmung durchzuführen, und zwar auf eine Weise, die stark auf Versammlungen aufbaut. Die Versammlungen arbeiten mit Kindern, Frauen, älteren Menschen usw. Ich weiß also, dass ich nicht allein bin, dass mein Volk immer noch kämpft, aber auch, dass andere Territorien kämpfen.
Wir wissen, dass wir unsere Gebiete befreien werden. Wir haben uns verpflichtet, unsere Territorien von den Unternehmen zu befreien, die die biologische Vielfalt zerstören. Wir sind nicht allein, es gibt die Pflanzen, die Bäume, die Berge. Es gibt auch die Artenvielfalt, die uns umgibt. Die Energie der Jaguare, die Energie der Schlangen, die Energie der Gewässer helfen uns, und wir helfen auch ihnen. Wir sind nicht allein.
Einer unserer Wege ist das Ütz'ilaj Kaslemal, das Buen Vivir (Gutes Leben), eine Alternative zur falschen Entwicklung. Dieser Weg liegt im Netzwerk des Lebens, wir respektieren die Natur und nehmen von ihr nur das, was wir brauchen. Keine Akkumulation, kein Extraktivismus, sondern eine Rückkehr zum Land. Es gilt zu säen, unsere Nahrung zu säen. Und auch Heilpflanzen. Die biologische Vielfalt und die Berge geben Heilung. Auch das ist ein Weg: Gesundheit als autonomer Prozess in den Gebieten. Kurz gesagt, es gibt ,das gute Leben', ,das gesunde Territorium', ,die Nahrung für das Leben' oder die sogenannte Ernährungssouveränität und ,den Kampf gegen die Gewalt'. Wir sagen, wenn wir unser körperliche Territorien von Gewalt befreien, befreien wir auch das gesamte Territorium von Gewalt. Und das ist Gemeinschaftsarbeit, nicht nur für Frauen oder Gender-Dissident:innen, sondern auch für Männer und die Gemeinschaft. Wir müssen uns zusammenschließen, um gegen Gewalt zu kämpfen.
Wie sehen deine alternativen Systemkämpfe und Praktiken aus, damit sich die indigenen Völker von diesem System der Unterdrückung befreien können?
Wir informieren die feministische Bewegung, die Ökologiebewegung, die Bewegungen gegen den Klimawandel und gegen die globale Erwärmung: Viele der Unternehmen, die den Klimawandel und die globale Erwärmung am meisten beeinflussen, sitzen in Europa. Von Europa aus gehen sie in unsere Territorien, um uns anzugreifen. Deshalb fordern wir diese Bewegungen auf, hier in Europa Aktionen und Mobilisierungen gegen diese Unternehmen durchzuführen.
In meinem Land gibt es Unternehmen aus Spanien, Frankreich, Italien, Deutschland, etc. Auch die Weltbank ist daran beteiligt. Ein Monokultur-Baumprojekt wird von der Weltbank finanziert. Wir wollen, dass die Weltbank hier in Europa angeprangert wird und dass die Unternehmen sanktioniert werden. Wenn die Unternehmen hier in Europa sanktioniert werden, werden wir dort leben können. Ihre Hände sind mit Blut befleckt, während wir in unseren Territorien unser Leben geben. Wenn die Menschheit gegen die globale Erwärmung kämpft, kann sie nicht zulassen, dass sie uns, die wir uns um die Natur kümmern, weiter ausrotten. Wir kämpfen weiter, aber hier müssen sie ihre Unternehmen stoppen, und das kann durch die feministischen Bewegungen geschehen.
Du rufst auch dazu auf, den Feminismus zu revolutionieren und bezeichnest dich als Sozialfeministin. Willst du damit sagen, dass die feministischen Bewegungen ein Problem mit der Sozialisierung haben?
Feminismen müssen pluralistisch und vielfältig sein, es gibt nicht den einen Feminismus, es gibt viele Feminismen. Der Feminismus, den ich verkörpere, ist ein Gemeinschaftsfeminismus, der von unten, von der Basis ausgeht, der sich in den marginalisierten Bewegungen ausdrückt, die unter Unterdrückung leiden. Von dort aus entstehen die Feminismen, die nicht nur antipatriarchal, sondern auch antirassistisch, antikolonial und anti-neoliberal sein müssen.
Es ist wichtig, der Welt zu sagen, dass es notwendig ist, De-Partriarchalisierung und De-Kolonisierung zu verweben. Dies gilt nicht nur für Abya Yala (wir sagen nicht Amerika, sondern Abya Yala), sondern auf diese Weise kann auch Europa ihre Territorien befreien und dasselbe gilt für andere Kontinente. Wir können Feminismen weben, und diese Feminismen können Territorien auf verschiedenen Kontinenten befreien. Mehr Feminismus bedeutet mehr Befreiung des Lebens.
Wir haben eine sehr starke Kritik am Feminismus der Eliten, am suprematistischen Feminismus. Das ist nicht gut, weil sie Machtverhältnisse über uns schaffen und uns ,bevormunden', sie sprechen für uns. Wir wollen nicht, dass sie für uns sprechen, wir können sprechen und sagen, was wir wollen und was wir fühlen. Unsere Agenden sind unsere. Die ,Intelligenzia' mischt sich in den Feminismus ein und schafft absolute Wahrheiten, Konzepte, Ansätze, Themen ... Wir sagen, dass Feminismus aus der Bewegung heraus entstehen muss. Die ,Intellektuellen' und die Akademia richten manchmal großen Schaden an, indem sie sie ausschließen.
Feminismus basiert nicht auf dem Schreibtisch, er basiert nicht auf Büchern, er muss auf den Boden der Tatsachen zurückkehren und respektieren, was wir in den Territorien schaffen, er muss uns kennen.
Es gibt die weißen Feminismen. Sie sind nicht nur wegen ihrer Hautfarbe weiß, sondern weil sie denken, dass die Weißen die Überlegenheit haben, dass sie besser sind. Und angesichts dessen sagen wir, dass plurale und vielfältige Strukturen gleichberechtigt gewoben werden müssen, nicht zwischen Intellektuellen, die sich für etwas Besseres halten, und uns, die wir als Zeugen behandelt werden. Wir sind weise. Diese weißen Feminismen müssen sich umdrehen, um zu schauen und von unseren Äußerungen zu lernen. Sie müssen auch von unten weben. Es kann nicht sein, dass sie kapitalistisch und neoliberal sind oder dass sie mit den Regierungen verbündet sind, die Krieg erzeugen.
Wir finden dies in der Jineolojî, im Buen Vivir, in den Caracoles, bei den Mapuche-Schwestern und in Bewegungen anderer indigener Völker. Die kurdische Frauenbewegung umarmt uns, wenn wir den Ansatz ,Jin, Jiyan, Azadî' lancieren. Wenn wir ,Jin, Jiyan. Azadî' sagen, umarmen wir andere Territorien, und auch wenn wir ;Jallalla' aus Abya Yala sagen, umarmen wir die kurdischen Schwestern.
Chemische Waffen werden gegen die Guerilla eingesetzt, die für die Freiheit der Kurd:innen kämpft. Viele weibliche Kämpferinnen sind bei diesen Angriffen ums Leben gekommen. Was kannst du zu dieser staatlichen Gewalt gegen die kurdische Freiheitsguerilla sagen?
Wir sagen dem kurdischen Volk und der kurdischen Frauenbewegung von ganzem Herzen, dass sie nicht allein sind. In allen unseren Gebieten verurteilen wir den Einsatz von chemischen Waffen gegen Kurdistan.
Wir brauchen keinen Krieg in Abya Yala oder Kurdistan und Respekt vor der Selbstverteidigung. Die ganze Menschheit lernt von dieser Selbstverteidigung. Die kurdische Frauenbewegung ist eine Umarmung des Lebens für die gesamte feministische Bewegung. Die feministische Bewegung kann von Kurdistan und auch von den einheimischen Frauen, die die Gebiete in Abya Yala verteidigen, lernen.
„Wenn Kurdistan nicht frei ist, wird kein Volk frei sein“
Wir schließen uns der Kampagne gegen den Krieg und die chemischen Waffen in Kurdistan an und wir wollen Freiheit, wir wollen Freiheit für die Weisheit der Menschen in Kurdistan, Freiheit für unsere kurdischen Schwestern und Gerechtigkeit. Wir fordern Gerechtigkeit. Die Menschheit muss angesichts dessen, was in Kurdistan geschieht, Gerechtigkeit fordern. Wenn Kurdistan nicht frei ist, wird kein Volk frei sein.
Ich weiß, wie es ist, verfolgt zu werden, ich kann mein Territorium nicht betreten, weil der Staat und die Armee mich inhaftieren und foltern wollen. Deshalb weiß ich, wie es ist, als Verbrecherin angesehen zu werden, und deshalb begrüße ich die Ausdrucksformen des Kampfes und der Selbstverteidigung in Kurdistan.
Welche Perspektiven nimmst du von dieser Konferenz mit und was hat sie dir gebracht?
Auf dieser Konferenz konnte ich mehr über die Frauenbewegung in Kurdistan erfahren, auch über die Frauen in Indien oder die Analyse, die Frauen in den USA über die Arbeit machen. Ich habe auch gesehen, wie der Kapitalismus die Arbeit der Frauen in China ausbeutet, und ich konnte mehr über den Kampf der Schwestern aus der Sahara erfahren. Das Schöne ist, dass nicht nur Menschen aus Europa gekommen sind, sondern auch aus Abya Yala und anderen Kontinenten.
An dieser zweiten Konferenz hat mir besonders gefallen, dass wir uns umarmt haben (,acuerpamos'). Der Aufruf, den die Frauenbewegung Kurdistans an andere Völker richtet, ermöglicht es uns zu erfahren, was sie in ihren Kämpfen tun. Zum Beispiel in China, wo Frauen gegen die ,Machistas' (sexistische Männer), aber auch gegen ein Sklavereisystem kämpfen. Es ist nicht bekannt, in welcher Situation sich diese Frauen befinden.
Ich finde es gut, dass wir aus verschiedenen Gegenden dem Ruf der Frauen aus Kurdistan gefolgt sind. Wir sind in Europa, aber wir kommen von anderen Kontinenten. Danke für die Mühe und für die Organisation, die sehr deutlich geknüpft wurden. Viel Kraft und herzlichen Dank. Maltyox chawe, vielen Dank in meiner Sprache. Libres seremos y venceremos! (Wir werden frei sein und wir werden siegen!)
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