Der Umweltkrieg gegen die Kurden

Von: Philippe Pernot, Frankfurter Rundschau, .

Alles Wasser ist fort, Landwirtschaft wird in Rojava zur bloßen Erinnerung.
Alles Wasser ist fort, Landwirtschaft wird in Rojava zur bloßen Erinnerung. © Philippe Pernot

Im Nordosten Syriens dreht die Türkei den Menschen das Wasser ab, zerbombt Olivenhaine und setzt Felder in Brand. Sie treibt die mehrheitlich kurdische Bevölkerung in die Flucht.

Ausgetrocknete Felder, rissige Böden, verkohlte Bäume: Entlang der Straße M4, die durch den Nordosten Syriens führt, ist die Landschaft trostlos und karg. Dank der Bemühungen der Bäuerinnen und Bauern, die der sengenden Sonne trotzen, gibt es noch ein paar grüne Flecken. Doch eines ist sicher: Die Wüste breitet sich nach drei Jahren Dürre immer weiter aus. Rojava (deutsch „Westkurdistan“), das von der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (Aano) regiert wird, ist für seine soziale Revolution bekannt. Nachdem sich das Gebiet vom syrischen Regime Baschar al-Assads für unabhängig erklärt und 2015 den „Islamischen Staat“ (IS) besiegt hatte, entstand ein neues Gesellschaftsmodell. Es beruht auf lokalen Räten und Werten wie Ökologie, Feminismus und Demokratie. Diese Errungenschaften sind jedoch durch die Krise und die Dürre bedroht.

„Wir sind von der globalen Erwärmung, dem Austrocknen der unterirdischen Brunnen, aber auch vom Krieg betroffen“, seufzt ein Bewohner Qamishlos, während er die ockerfarbene Landschaft betrachtet, die sich ausdehnt, soweit das Auge reicht. Seitdem sich die Türkei in den Syrienkonflikt einmischt, um die Aano zu bekämpfen, ist die Umwelt zum Mittelpunkt des Konflikts geworden. Es ist ein Krieg niedriger Intensität, der von der Türkei und ihren Stellvertretern, nämlich der syrischen Nationalarmee, gegen die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) geführt wird, eine von den USA unterstützte kurdisch-arabisch-christliche Koalition.

Das grüne Tal des Euphrat ist somit zum Schlachtfeld eines unsichtbaren Krieges geworden. Der mythische Fluss schlängelt sich von der türkischen Grenze durch die Region, bevor er den benachbarten Irak bewässert. Auf halber Strecke befindet sich Tabqa, ein riesiger Staudamm mit einem strahlend blauen See, der von Grün umgeben ist. Tabqa wurde in den 1970er Jahren von der Sowjetunion gebaut und war 2017 Schauplatz gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen dem IS und den SDF.

Vom Khabour-Fluss, der aus der Türkei kommt, sind nur noch Pfützen übrig. Die Pumpen an den ausgetrockneten Ufern laufen leer.
Vom Khabour-Fluss, der aus der Türkei kommt, sind nur noch Pfützen übrig. Die Pumpen an den ausgetrockneten Ufern laufen leer. © Philippe Pernot

Die Türkei senkt den Wasserspiegel des Stausees ab

Nun wird er von der Türkei ins Visier genommen. Nicht mit Bombenangriffen, sondern durch Senkung des Wasserspiegels. „Seit dem Abkommen von 1987 muss die Türkei theoretisch mindestens 500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde nach Syrien und in den Irak durchlassen. Doch sobald die Autonome Administration an die Macht kam, wurde die Durchflussmenge verringert“, sagt Walat Darwish, Verwalter des Staudamms. Von 400 Kubikmetern pro Sekunde sei die Wassermenge auf durchschnittlich 250 oder sogar weniger gesunken.

„Das hat dramatische Folgen für das gesamte Tal, seine fünf Millionen Einwohner und seine Ökosysteme“, klagt Darwish. Er zeigt das Foto eines Kindes, das an Leishmaniose leidet. Die Hautkrankheit wird von Stechmücken verursacht, die sich im stehenden Wasser des erstickten Euphrat sammeln. Mehr als 70 000 Menschen sollen daran erkrankt sein, bestätigt Giwan Mustafa, Vorsitzender des Gesundheitsrates Westkurdistans. Auch ist die Stromproduktion von 840 Megawattstunden auf gerade einmal 105 gesunken: „Wir sind gezwungen, den Strom für die Städte zu rationieren, und können sie nur noch zwei bis sechs Stunden pro Tag mit Strom versorgen“, bedauert Darwish. Für ihn ist die Taktik klar: „Die Türkei will die Region schwächen und unbewohnbar machen, um sie zu erobern.“

Die 200 Kilometer weiter nordöstlich gelegene Stadt Tell Tamer (arabisch für „Dattelhügel“) ist das dramatischste Beispiel dafür. Sie war einst ein wichtiges Zentrum der assyrischen Bevölkerung – eine christliche Minderheit, die ihre Wurzeln im alten Mesopotamien sieht. Seit einigen Jahren liegt die Stadt an der Frontlinie, immer mehr Menschen verlassen sie. Von den 40 000 Assyrer:innen, die vor dem Bürgerkrieg dort lebten, sind weniger als 1000 übrig.

„Wir leben und arbeiten in Angst“, sagt Landwirt Mhessen Ali Khalil

Als wir ankommen, um mit den Landwirt:innen und Behörden zu sprechen, bedroht uns eine Drohne im blauen Himmel. Sie wird von der Türkei gesteuert, um jedes militärische oder zivile Ziel von Interesse zu vernichten. Die von Pinien gesäumten Straßen und assyrischen Kirchen sind leer, die Angst ist spürbar. „Sie bombardieren Zivilpersonen und Kinder, unsere Felder, Bewässerungskanäle und Pumpstationen. Wir leben und arbeiten in Angst“, sagt Mhessen Ali Khalil, ein sonnengebräunter Landwirt mit hellen Augen. Allein im Juli wurden in der Region 363 Angriffe mit Mörsern, Drohnen und Artillerie gezählt, bei denen sechs Menschen getötet und 26 verletzt wurden.

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De Facto autonom

Rojava (deutsch: „Westkurdistan“) ist die kurdische Bezeichnung für ein de facto eigenständiges Gebiet im Nordosten Syriens. Die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (Aano) hat sich infolge des syrischen Bürgerkriegs ab 2012 entwickelt und durchläuft einen weltweit beachteten Demokratisierungsprozess.

Vorwiegend Menschen mit kurdischen , assyrischen und arabischen Wurzeln bewohnen Rojava. Bürgerinnen und Bürger in der vom Krieg verwüsteten Region setzen auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität; Feminismus und Ökologie haben einen hohen Stellenwert.

Schon in der kurdischen Tradition und auch in der Philosophie von Abdullah Öcalan, dem Anführer der PKK und Inspirator der Autonomen Administration, spielt die Umwelt eine wesentliche Rolle. Inspiriert von Murray Bookchins libertärem Kommunalismus, bekennt sich Rojava zu einer radikalen Ökologie. Trotzdem ist die Region weiterhin stark von ihren Ölexporten abhängig, die wiederum extrem umweltschädlich sind. 

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„Seit die Türkei die Wassermenge flussaufwärts verringert, haben wir nicht mehr genug, um unsere Felder zu bewässern und leiden unter Stromausfällen, manchmal an zehn aufeinanderfolgenden Tagen“, erzählt Mhessen. Eine Pumpstation sei einige Wochen zuvor bombardiert worden: Jedes Mal, wenn Leute aus dem Dorf gekommen seien, um sie zu reparieren, seien sie unter Beschuss pro-türkischer Kräfte geraten. Die örtlichen Behörden baten Russland um Hilfe, das einen 2019 in Kraft getretenen Waffenstillstand zwischen der Autonomen Administration und der Türkei durchsetzen soll.

Wasser ist zur Waffe geworden, und Mhessen leidet unter den Folgen. Seine Felder sind nicht mehr bebaubar. Er überlebt nur noch dank seines Traktors, mit dem er den Boden anderer Bauern bestellt. Ein Besuch am Khabour-Fluss, der aus der Türkei abfließt und die Stadt versorgt, bestätigt seine Aussagen: Dort gibt es nichts als stehende Pfützen und leerlaufende Pumpen entlang der ausgetrockneten Ufer.

Seine Felder kann Landwirt Mhessen Ali Khalil nicht mehr bebauen.
Seine Felder kann Landwirt Mhessen Ali Khalil nicht mehr bebauen. © PHILIPPE PERNOT

Niemand hat Zweifel daran, dass es sich um eine Strategie der Türkei handelt

Wasser war bis in die 1980er Jahre trinkbar und wir kamen zum Schwimmen, Angeln und um unsere religiösen Feste zu feiern“, berichtet ein anderer assyrischer Landwirt, der anonym bleiben möchte. Die assyrische Bevölkerung des Tals, das für seine Landwirtschaft und seine grünen Oasen bekannt ist, lebte in Symbiose mit dem Fluss und ist auf dessen Gesundheit angewiesen. „Nun, da der Fluss ausgetrocknet ist und unsere Pflanzen sterben, bleibt uns nichts anderes übrig, als ins Exil zu gehen“, seufzt der Landwirt, dessen 1000 Hektar Land von pro-türkischen Milizen besetzt sind.

Für alle, die wir getroffen haben, besteht kein Zweifel daran, dass es sich hierbei um eine Strategie der Türkei handelt. „Sie kombiniert militärische Maßnahmen wie Artillerie- und Drohnen-Bombardements mit einer sehr effektiven Umwelttaktik“, sagt Nabil Warde, Sprecher der Khabur-Garde in Tell Tamer, der örtlichen assyrischen Miliz. In Rojava verwaltet sich jede religiöse Gemeinschaft selbst und verfügt über eine eigene Polizei, Armee und Behörden. „Wir haben den IS 2015 zurückgeschlagen, als es niemand sonst konnte, und wir werden das Gleiche mit den türkischen Milizen tun“, sagt er.

Erdogan bemüht sich um Russlands Zustimmung für eine Invasion

Eine türkische Invasion droht seit einigen Wochen, da Präsident Recep Erdogan die Zustimmung Russlands für eine neue, groß angelegte Militäraktion gegen den Nordosten Syriens sucht. Das erklärte Ziel: die Bekämpfung der PKK, der kurdischen Arbeiterpartei in der Türkei, deren Held, Abdallah Öcalan, seit 1999 inhaftiert ist. Der Guerillakrieg dauert schon seit Jahrzehnten an und zielt darauf ab, in der Türkei eine autonome kurdische Region nach dem Vorbild des Irak und Syriens zu errichten. Die Türkei beschuldigt die Autonome Administration Westkurdistans, mit der PKK in Verbindung zu stehen – was teilweise stimmt, da die kurdischen Befreiungsbewegungen auf beiden Seiten der Grenze eng miteinander verbunden sind und Öcalans Ideologie des libertären Kommunalismus teilen (siehe Infobox).

„Der wahre Grund für die Invasion ist jedoch, einen Sicherheitsgürtel zwischen der Türkei und den Kurden zu errichten und die Bevölkerung umzusiedeln“, sagt Orhal Kamal, Koordinator von Hevdesti, einer unabhängigen Beobachtungsstelle, die Kriegshandlungen aufzeichnet. Er stammt selbst aus Sere Kanye und hat die Militäraktionen „Olivenzweig“ (2018) und „Friedensquelle“ (2019) miterlebt, bei denen Afrin und Sere Kanye in die Hände der türkischen Armee und ihrer Stellvertreter von der Syrischen Nationalen Armee fielen. Diese beiden multiethnischen Städte mit kurdischer Mehrheit bieten ein trauriges Bild dessen, was in Tell Tamer und dem Rest der Region passieren könnte, wenn die Türkei eine neue Offensive starten sollte.

Karte Nordostsyriens.
Karte Nordostsyriens. © FR

Die jahrtausendealten Olivenbäume in Afrin wurden in Flammen gesetzt

Überlebende berichten von ökologischen Massakern, die von den türkischen Streitkräften und ihren Hilfsmilizen verübt wurden. So wurden die jahrtausendealten Olivenbäume in Afrin in Flammen gesetzt und ihr Öl von der Türkei auf den europäischen Märkten verkauft. In Sere Kanye verbrannten zahlreiche Weizenfelder nach den Angriffen von Brandballons und türkischer Artillerie. „Sie zielen absichtlich auf unsere Identität ab, die tief in der Natur und unseren Bäumen verwurzelt ist. Die Afriner lieben ihre Olivenbäume wie Kinder, viele haben geweint, als sie uns erzählten, was passiert ist“, berichtet Kamal erschüttert. Die Namen der türkischen Militäraktionen sind nicht zufällig gewählt: Sie beziehen sich auf die Olivenbäume in Afrin und die Quellen von Sere Kanye.

Der zweite Schritt nach der Umweltzerstörung ist der Austausch der Bevölkerung in diesen Gebieten, die nun von pro-türkischen Milizen regiert werden. „Früher war die Hälfte der Bewohner von Sere Kanye kurdisch. Jetzt sind es genau genommen nur noch 48 Menschen. Dasselbe gilt für die Armenier, von einst 200 ist nur noch einer übrig – der Priester, der sich um seine Kirche kümmert“, berichtet Kamal. Die 350 000 Menschen in Sere Kanye, die vor der Zerstörung geflohen waren, wurden durch 20 000 syrisch-arabische Flüchtlingsfamilien ersetzt, die aus der Türkei hierher gebracht wurden. „Erdogan will alle syrischen Flüchtlinge aus der Türkei in diesen Landstreifen entlang der Grenze umsiedeln“, sagt Kamal.

Alle Befragten erklären lautstark ihre Abneigung gegen den türkischen Staat. „Unsere demokratische Gesellschaft, in der alle Gemeinschaften zusammenleben, ist eine Bedrohung für sie, sie haben Angst, dass ihr Volk das gleiche Modell fordert“, glaubt Walat Darwish, Verwalter des Tabqa-Staudamms, zu wissen. In einer Region, in der die ethnische Bevölkerung eng mit ihrer Umwelt verbunden sind, reimt sich Ökozid auf Genozid. Auch wenn die Türkei weit davon entfernt ist, die Gräueltaten des vergangenen Jahrhunderts wie den Völkermord (1915-1923) an den Armeniern und Assyrern im Osmanischen Reich zu wiederholen, ist die Erinnerung daran in Rojava allgegenwärtig.


 

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