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Drohungen gegen Kunstkollektiv wegen Öcalan-Wandbildern in Nairobi


Der Wahenga Art Club will durch die Verbindung von Kunst und sozialer Aktion im öffentlichen Raum die Suburbs von Nairobi verändern. Mit Abdullah Öcalan vereint die Gruppe die Vision einer basisdemokratischen Gesellschaft. Dem Staat gefällt das nicht.

Mit vollem Haar und Schnurrbart, ganz so wie man ihn kennt, blickt das Konterfei von Abdullah Öcalan an diversen Orten in Kenias Hauptstadt von der Wand. Hinter dem Projekt steckt der Wahenga Art Club, dessen Mitglieder in der basisdemokratischen Bewegung Grassroots Liberation Movement organisiert sind. Die Vereinigung hat sich zum Ziel gesetzt, die Suburbs von Nairobi zu verändern: Durch Graffiti, Musik, Poesie, Schauspielerei und Artivismus; die Verbindung von Kunst und sozialer Aktion im öffentlichen Raum. Seit fünf Jahren besteht der Wahenga Art Club bereits, über 100 Wandbilder schmücken die Mauern zahlreicher Gebäude. Darunter befinden sich auch Corona-Warnbilder, die im Auftrag der Stadtverwaltung Nairobis gemalt wurden.

Mit Abdullah Öcalan vereint die kenianische Graswurzelbewegung die Vision einer kommunal organisierten basisdemokratischen und ökologischen Gesellschaft. Seine Idee vom Demokratischen Konföderalismus zur Überwindung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen wird als reale Utopie für eine wegweisende Zukunft in Kenia begriffen. Überdies ist das ostafrikanische Land seit Jahrzehnten mit der Geschichte der kurdischen Freiheitsbewegung verwoben. Denn am 15. Februar 1999 wurde der PKK-Begründer Abdullah Öcalan kurz nach dem Verlassen der griechischen Botschaft in Nairobi in einem internationalen Komplott in die Türkei verschleppt, wo er seitdem unter einem einmaligen System der physischen Isolation auf der Gefängnisinsel Imrali festgehalten wird. Seine Ideen ließen sich jedoch nicht einkerkern und wurden mit der Revolution von Rojava weltweit zum Symbol von radikaler Demokratie und Frauenbefreiung.

Wandbilder von Abdullah Öcalan und Dedan Kimathi; Kämpfer der antikolonialen Unabhängigkeitsbewegung Mau-Mau in der Kolonie Kenia gegen die Herrschaft der weißen Siedler und der Kolonialmacht Großbritannien. Er wurde des Terrorismus beschuldigt und 1957 von der britischen Kolonialregierung hingerichtet.


So kam es nicht von ungefähr, dass am Ort der Verschleppung des kurdischen Vordenkers eine beeindruckende Wandbild-Kampagne anlässlich seines 73. Geburtstags in Szene gesetzt wurde. Der Wahenga Art Club wollte damit die Solidarität der basisdemokratischen Bewegung für den kurdischen Befreiungskampf zum Ausdruck bringen und die Forderung „Freiheit für Abdullah Öcalan“ hervorheben. Die Aktion zog die Aufmerksamkeit vieler Menschen überall auf dem Globus auf sich, brachte allerdings auch feindlich Gesinnte auf den Plan. Die Behörden Nairobis werfen dem Kollektiv eine „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ vor und drohen mit strafrechtlicher Verfolgung, sollten weitere Öcalan-Porträts in der Öffentlichkeit entstehen. Einigen Mitgliedern des Wahenga Art Clubs soll sogar mit Verhaftung gedroht worden sein.

Miley: Türkischer Staat könnte interveniert haben

„Dieser Vorfall verdeutlicht den neokolonialen Charakter des kenianischen Staates und die Leichtigkeit, mit der NATO-Kräfte die örtlichen Behörden dazu bringen können, ihre schmutzigen Wünsche zu erfüllen“, sagt Dr. Thomas Jeffrey Miley. Der Dozent für politische Soziologie an der Universität Cambridge hält sich seit einiger Zeit zu einem Forschungsprojekt in Kenia auf und ist Repräsentant der Grassroots Liberation Movement. Er glaubt, dass die türkische Botschaft oder der türkische Geheimdienst interveniert haben könnten, um Druck auf die Künstlerinnen und Künstler zu auszuüben. „Allerdings ist auch nicht auszuschließen, dass die CIA direkt im Auftrag ihrer türkischen Verbündeten handelt. Es ist auch nicht völlig ausgeschlossen, dass es sich um das Ergebnis einer autonomen, lokalen Initiative handelt, mit der ein potenziell explosives ideologisches Gebräu im Keim erstickt werden soll.“


Die Drohkulisse unterstreiche auch, für wie gefährlich der Staat die Verbindung zwischen Öcalans Anliegen und der Mobilisierung der Jugend in den kenianischen Slums hält, meint Miley. Denn die existenziellen Bedingungen in den informellen Siedlungen Nairobis, die während der britischen Kolonialherrschaft entstanden – als die afrikanische Bevölkerung nicht in den Wohnvierteln der Städte leben durfte – sind erbärmlich. Hinzu kommen staatliche Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsräumungen, Abrisse, gewaltsame Vertreibungen und das Fehlen von Entschädigungen – Probleme, die eine große Bedrohungen für die Haushalte in den Slums darstellen und in direktem Zusammenhang mit der Eigentumsfrage stehen. Thomas Jeffrey Miley schlägt aber auch wegen anderer daseinsbedingter Bedrohungen Alarm: „Ideologische Manipulation in Verbindung mit brutaler Repression ist in Kenia die vorherrschende Form der Herrschaft. Ethnische Spaltungen werden geschürt, horizontale Gewalt propagiert, religiöse Unterwerfung gefördert, polizeiliche Macht gestärkt. Dies sind die Tricks, mit denen das Volk bisher effektiv gespalten und erobert wurde. Und das schon seit Generationen.“

Kunst kann dem korrupten und bösartigen System gefährlich werden

Doch die Bedingungen für eine Revolution in Kenia seien reif, glaubt Miley. Es gehe jetzt noch darum, das kollektive Bewusstsein zu kultivieren. Dies sei dem Staat ebenfalls klar, deshalb würden die „Waffen der Wahenga“ – ihre Wandmalereien, ihre Musik und die revolutionäre Botschaft, die durch das Medium der Kunst ausgedrückt wird, als eine große Gefahr angesehen. „Schließlich ist Kunst gefährlich gegenüber diesem korrupten und bösartigen System, das die Vielen in bitterer Armut schmachten lässt, während die Wenigen im Schoß des Luxus wie im reichen Vorort Lavington leben“, hebt Miley hervor. Die Zentren für soziale Gerechtigkeit und die freiheitliche Graswurzelbewegung hätten Angst und Schrecken die Herzen derjenigen gejagt, deren Aufgabe es ist, die bestehenden sozialen Eigentumsverhältnisse zu schützen und zu erhalten. „Und so schlagen die Behörden zu und versuchen, die Boten zum Schweigen zu bringen. Doch die Wahenga lassen sich nicht so leicht einschüchtern. Denn sie sind überzeugt, dass sie Jah auf ihrer Seite haben. Sie glauben daran, dass die Herrschaft der Gleichberechtigung und Gerechtigkeit nahe ist.“

Dr. Thomas Jeffrey Miley © privat

Thomas Jeffrey Miley glaubt auch nicht daran, dass es ein Zufall war, dass Abdullah Öcalan gerade in Nairobi entführt wurde. Der PKK-Begründer sei der „Träger einer revolutionären Flamme“ gewesen, die auch heute noch brennt. Es handele sich um ein Feuer, das immer wieder neu entfacht werden könne und würde und dessen Hitze von Tag zu Tag intensiver strahle. „Öcalans visionäre Botschaft – sein Paradigma der sozialen Ökologie, sein Programm des Demokratischen Konföderalismus – ist in den informellen Siedlungen mit Begeisterung aufgenommen worden. In erster Linie bei jenen, die nichts zu verlieren haben außer ihren Ketten. Soll doch die etablierte Ordnung erzittern, wenn es sein muss. Schon Babylon hatte sich ergeben und Zion war dazu bestimmt, sich zu erheben. Wie ein Phönix sollte auch jetzt aus der Asche eine neue Welt entstehen: Die neue Welt der Wahenga.“


Grassroots Liberation Movement – Eine Brücke von Kenia bis Kurdistan

Die „Grassroots Liberation Movement“ ist aus dem Engagement für soziale Gerechtigkeit durch die Dokumentation der Kämpfe der sozialen und ökologischen Bewegungen entstanden. Die Bewegung will Aktivist:innen in den Armensiedlungen von Nairobi in ihrem mutigen Kampf gegen die vielen schweren Menschenrechtsverletzungen unterstützen, die vom postkolonialen Staat unter dem Vorzeichen des Modells der kapitalistischen Entwicklung begangen werden, und zielt darauf ab, echte internationale Solidarität zu verkörpern und voranzutreiben, mit und an der Seite der betroffenen Gemeinschaften zu kämpfen, ihnen zu helfen, sich selbst zu ermächtigen und dabei die engen Grenzen und die neokoloniale Dialektik von Wohltätigkeit und Abhängigkeit zu überwinden und sie zu sprengen. Die Bewegung wurde von Estella Schmid aus England, Gründungsmitglied der Kampagne „Peace in Kurdistan“ (PIK), mitbegründet. Sie dient als Brücke zwischen Kenia und Europa und der kurdischen Freiheitsbewegung. Projekte der Bewegung können über GoFundMe unterstützt werden.

 

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