Gefängnis in Hesekê: YPG International kritisiert Medienberichterstattung
YPG International kritisiert die Medienberichterstattung zu der versuchten Erstürmung des Sina-Gefängnisses in Hesekê. Mit der Darstellung der QSD als „kurdische Truppe“ werde der IS-Propaganda Glaubwürdigkeit verliehen.
YPG International hat eine Erklärung zu der irreführenden Medienberichterstattung über den jüngsten Ausbruchsversuch von Angehörigen des sogenannten Islamischen Staats (IS) aus dem Sina-Gefängnis in Heseke im Nordosten Syriens veröffentlicht.
YPG International kritisiert, dass die Darstellung der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD, englisch: SDF) als „kurdische Truppe" oder „kurdisch dominiert" nicht nur eine Beleidigung des Gedenkens an die im Kampf gegen den IS gefallenen Araber:innen, Turkmen:innen, Suryoye und Armenier:innen darstellt, sondern auch der Propaganda des IS Glaubwürdigkeit verleiht und dessen Ziel einer Destabilisierung der Region unterstützt. Außerdem wird die Rolle des türkischen Staats in der Berichterstattung ausgeblendet.
Nach Ansicht der YPG International ist zudem die Weigerung der westlichen Länder, Verantwortung für ihre Staatsangehörigen innerhalb des IS zu übernehmen, nicht fair und akzeptabel.
„Kurdisch dominierte Kräfte“
In der von der YPG International am Dienstag veröffentlichten Erklärung heißt es unter anderem:
„Mit dem Beginn des IS-Angriffs auf den großen Sina-Gefängniskomplex im Nordosten Syriens in der Nacht vom 20. Januar 2022 sind wir als YPG International (Internationalist:innen aus der ganzen Welt) vor Ort und haben die weltweite Medienberichterstattung über die Ereignisse genau verfolgt. In einer Zeit, in der eine Delegation der dschihadistischen Taliban-Organisation in Norwegen zu Gesprächen mit der EU empfangen wird und von den Medien beim Wort genommen wird, was ihre Absichten zur ,Demokratisierung' Afghanistans betrifft, sind wir dennoch mehr als überrascht über die Darstellung der Medien über Nordostsyrien und die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD). So zum Beispiel:
„Die kurdisch dominierten SDF" - France 24
„Die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte" - Al Jazeera
„Der Angriff fand in einer von kurdischen Kräften kontrollierten Einrichtung statt" - Le Monde
„Kämpfer des Islamischen Staates haben versucht, aus einem kurdisch geführten Gefängnis auszubrechen" - BBC News
„Die meisten arabischen Insassen wurden ohne Anklage oder
Gerichtsverfahren festgehalten, was den Unmut von Stammesmitgliedern
schürte, die den kurdischen Kräften Rassendiskriminierung vorwarfen, ein
Vorwurf, der von den kurdisch geführten Kräften zurückgewiesen wird" -
NBC News
Zahlreiche westliche Medien haben über den Ausbruchsversuch aus dem Gefängnis für IS-Mitglieder in Hesekê berichtet, und alle scheinen einem ähnlichen Muster von Fehlinformationen und gezielten Auslassungen zu folgen. Die Ähnlichkeit zwischen den Fehlern in diesen Artikeln und den absichtlichen Unwahrheiten, die vom IS verbreitet werden, macht die Situation noch besorgniserregender.
Die Mehrheit ist arabisch
Diese Artikel lassen die Tatsache außer Acht, dass die Mehrheit der Bevölkerung in der Autonomieregion Nordostsyrien sowie die Mehrheit der QSD selbst tatsächlich arabisch ist. In einer im Mai 2020 veröffentlichten Erklärung des unabhängigen Rojava Information Center (RIC) wurde erwähnt, dass die QSD zu mehr als fünfzig Prozent aus arabischen Kämpferinnen und Kämpfern bestehen. Gleichzeitig sind Araber:innen auf allen Ebenen der Selbstverwaltung beteiligt. Da wir uns selbst dem Kampf gegen den jüngsten IS-Aufstand angeschlossen haben, haben wir mit vielen Kämpfern gesprochen, die ebenfalls an der Operation beteiligt sind; es überrascht nicht, dass viele von ihnen arabisch sind. Es sollte nicht überraschen, dass auch die Araber:innen in den schwarzen Jahren der IS-Tyrannei die gleichen Wunden erlitten haben wie ihre kurdischen Landsleute und ebenso motiviert sind, ihre Heimat zu schützen.
Geschenk an die IS-Propagandisten
Diese Berichte sind das größte Geschenk, das man den IS-Propagandisten machen kann, die immer versucht haben, die Mär von der rassischen Spaltung zwischen den Völkern zu spinnen, die gemeinsam die schrecklichen Folgen des IS-Vormarschs ertragen und sie gemeinsam unter dem Preis vieler Gefallener aus ihren Häusern vertrieben haben. Die QSD als ,kurdische Truppe' oder ,kurdisch dominiert' darzustellen, ist nicht nur eine unverzeihliche Beleidigung des Gedenkens an die Araber:innen, Turkmen:innen, Suryoye und Armenier:innen darstellt, die ihr Leben im Kampf gegeben haben und weiterhin geben, sondern auch der Propaganda des IS Glaubwürdigkeit verleiht und dessen Ziel einer Destabilisierung der Region, für deren Schutz die QSD so stark gekämpft haben, vorantreibt.
2000 IS-Mitglieder aus westlichen Ländern
Das Sina-Gefängnis selbst, das unter dem extrem strengen Embargo gegen Nordostsyriens betrieben wird, entspricht unter diesen Bedingungen nicht den Standards eines Hochsicherheitsgefängnisses. Es wurde nicht eigens gebaut, sondern nachgerüstet, um bis zu 5.000 IS-Gefangene aufzunehmen, eine Lösung, die die QSD gegenüber der internationalen Koalition wiederholt als langfristig ungeeignet bezeichnet haben. Die Rolle und die letztendliche Verantwortung der internationalen Streitkräfte ist von großer Bedeutung, denn entgegen der Darstellung in den westlichen Medien sind unter den Insassen des Gefängnisses rund 2.000 Ausländer aus westlichen Ländern. Aus unserer Sicht als YPG International ist die Weigerung der westlichen Staaten, die Verantwortung für ihre Bürger zu übernehmen, die so viel Leid und Schmerz in Syrien verursacht haben, einfach nicht fair und akzeptabel.
Türkische Angriffe müssen erwähnt werden
Darüber hinaus halten wir es für mehr als wichtig zu erwähnen, was jedoch in der gesamten Medienberichterstattung fehlt, dass arabische und kurdische Kräfte, die in Hesekê zu Hilfe kamen, auf dem Weg von türkischen Drohnen angegriffen wurden. Unter dem IS hat die ezidische Bevölkerung in Şengal am meisten gelitten. Auch sie wurde am selben Tag vom NATO-Mitglied Türkei aus der Luft angegriffen.
Wir würden uns wünschen, dass westliche Nachrichtenorganisationen bei ihrer Berichterstattung über die Region und den anhaltenden Konflikt vorsichtiger und verantwortungsbewusster vorgehen würden. Eine Darstellung der Realität vor Ort würde dazu beitragen, bestehende Vorurteile gegenüber der Region abzubauen und eine Lösung für ganz Syrien und seine Bevölkerung zu finden."
Titelfoto: YPJ International
Kommentare
Kommentar veröffentlichen