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Şengal wirft Bagdad militärische Provokation vor


Die Autonomieleitung von Şengal befürchtet angesichts der Verlegung großer Truppenkontingente irakischer Streitkräfte in ezidisches Kerngebiet eine militärische Eskalation und fordert die Abschwächung der Spannungen in der Region.

Die Autonomieleitung von Şengal befürchtet angesichts der Verlegung großer Truppenkontingente irakischer Streitkräfte in ezidisches Kerngebiet eine militärische Eskalation. Es bestehe Grund zur Annahme, dass die massiven Militärbewegungen in der Region dazu genutzt werden sollen, Provokationen herauszufordern und bestehende Spannungen weiter zu verschärfen, heißt es in einer Stellungnahme des Gremiums. „Es ist kein Grund ersichtlich, warum Iraks Premierminister Mustafa al-Kadhimi unter dem Vorwand von Sicherheitsgründen seine Militäreinheiten in Şengal zusammenziehen lässt. Hunderte Militärfahrzeuge patrouillieren in Şengal. Wir betrachten diese Aktion als Drohgebärde, die inakzeptabel ist.“

Laut der Autonomieleitung verortet sich die militärische Mobilisierung irakischer Truppen in Şengal in der Absicht, die scharf kritisierte und über die Köpfe der ezidischen Bevölkerung hinweg getroffene Vereinbarung zwischen Bagdad und Hewlêr (Erbil) durchzusetzen. Die südkurdische Regional- und die irakische Zentralregierung hatten sich im Oktober 2020 nach monatelangen Verhandlungen darauf verständigt, das sogenannte Şengal-Abkommen zu unterzeichnen. Der Vertrag besteht aus einer Reihe von sicherheitspolitischen und verwaltungstechnischen Maßnahmen und legt Verantwortlichkeitsbereiche der Behörden fest. Die Autonomieleitung Şengals und der Großteil der betroffenen Bevölkerung stehen dem Vertrag skeptisch gegenüber: Denn die unter dem Eindruck des IS-Genozids von 2014 in Şengal gebildete Autonomieleitung, die das Gebiet seitdem verwaltet, wurde während des Verfahrens nicht einmal konsultiert und saß demzufolge nicht am Verhandlungstisch. Das Abkommen wird daher als ein Versuch beider Regierungen angesehen, die Kontrolle über Region zu übernehmen und dem ezidischen Volk eigene politische und administrative Rechte zu verweigern.

Kritischer Zeitpunkt der Truppenkonzentrationen

Weiter heißt es in der Erklärung: „Kritisch betrachtet die Autonomieleitung auch den Zeitpunkt der irakischen Truppenkonzentrationen in Şengal. Wir erinnern daran, dass vor drei Monaten die Parlamentswahlen abgehalten worden sind und noch immer keine neue Regierung gebildet wurde. Dass sich die PDK-Führung und die Regierung von Mustafa al-Kadhimi in einer Phase, in der das Land von zahlreichen Krisen geprägt ist, der Şengal-Region zuwenden, kommt einer Ausnutzung des bestehenden Machtvakuums gleich. (…) Wir appellieren daher an alle politischen Kräfte des Iraks: Ganz gleich, wie die neue Regierung aufgestellt sein wird, heben wir ein weiteres Mal unsere hohe Bereitschaft für eine politische Lösung der Probleme in unserer Region auf Grundlage der Anerkennung eines autonomen Şengals hervor. Mit Nachdruck weisen wir jedoch darauf hin, dass das Abkommen vom 9. Oktober kein Lösungs- sondern ein Kriegsvertrag ist. Alle verantwortlichen Kräfte sollten bemüht sein, diese Tatsache zu begreifen und entschieden alle Versuche zurückweisen, in Şengal Feindseligkeiten auszulösen. Kämpfe in unserer Region werden den Irak nicht stärken, aber eine Lösung für Şengal wird es.“

In diesem Zusammenhang appelliert die Autonomieleitung von Şengal auch an internationale Akteure und Kräfte für Demokratie und Freiheit. „Sie alle sollten im Umgang mit Şengal nach ihrem Gewissen handeln. Wir sind ein Volk, das im Laufe der Jahrhunderte dutzende Male Opfer von Massakern geworden ist. Wir möchten in unserer Heimat verankert bleiben und ein menschenwürdiges Leben leben, das wir selbst verwalten. Dies ist eine echte Lösung sowohl für Şengal als auch für den Irak. Die internationalen Kräfte sollten Feindseligkeiten nicht unterstützen, sondern Spannungen eindämmen und eine politische Lösung fördern.“

Äußerungen von PDK-Politiker lösen weitere Spannungen aus

Für weitere Spannungen in Şengal sorgten zuletzt auch Äußerungen des PDK-Abgeordneten Majid Shingali hinsichtlich einer Statue des 2020 durch einen türkischen Luftangriff gefallenen YBŞ-Kommandanten Zerdeşt Şengalî, die in der Region aus Anlass des zweiten Todestages des Eziden aufgestellt wurde. „Wir wissen sehr wohl, dass Majid Shingali nicht lediglich für sich selbst, sondern im Namen seiner Partei PDK sprach. Er hatte geäußert, nicht zulassen zu wollen, dass die Statue einer Person aufgestellt wird, die Şengal nicht repräsentiere. Andere seiner Aussagen zielten darauf ab, einen Konflikt zwischen den verschiedenen Religionen zu schüren. Unsere Antwort an Majid Shingali und die PDK lautet: Zerdeşt Şengalî ist für Şengal gefallen. Er kämpfte gegen die Gräueltaten des IS, als PDK-Kräfte aus Şengal flüchteten und den Genozid am ezidischen Volk ermöglichten. Sie führten in Hewlêr und anderen Städten ein unbeschwertes Leben, während wir ermordet wurden. Wer also repräsentiert Şengal? Jene, die geflohen sind, um einzig sich selbst und ihren Besitz zu retten, oder solche, die für Şengal gestorben sind?“

Empörung über jubelnde Soldaten nach Unfall

Als empörend und verstörend empfindet die Autonomieleitung auch die Bilder irakischer Sicherheitskräfte, die nach dem schweren Verkehrsunfall vom Sonntag mit zwei Toten und 27 Verletzten in Sinunê in Jubel ausbrachen. „Diese Szenen verdeutlichen die tiefe Feindseligkeit gegenüber den Ezidinnen und Eziden und erinnern uns an die mörderischen IS-Banden, die beim Töten unserer Menschen ebenfalls in Freudengeschrei ausbrachen. Premierminister Mustafa al-Kadhimi muss sich die Frage stellen, warum der Tod von Angehörigen unserer Gemeinschaft bei den Soldaten unter seinem Kommando offensichtlich Freude hervorruft“, heißt es in der Stellungnahme.

Kein gewöhnlicher Unfall

Es handele sich nicht um einen „gewöhnlichen“ Verkehrsunfall, auch wenn er auf den ersten Blick so erscheine. Vielmehr sei er auf die Militärbewegungen der irakischen Armee zurückzuführen, so die Autonomieleitung. Der vollbesetzte Bus mit Schüler:innen und Studierenden war am Sonntagnachmittag auf der Verbindungsstraße zwischen den Kleinstädten Sinunê und Xanesor unterwegs, als der Fahrer mit voller Wucht in ein Wassertankfahrzeug der irakischen Armee fuhr. Zunächst hatten deren Sicherheitskräfte gemutmaßt, der Unfall sei womöglich auf gefährlichen Sekundenschlaf am Steuer zurückzuführen. Inzwischen liegen Berichte vor, wonach das Tankfahrzeug ohne zwingenden Grund mitten auf der Straße abrupt gebremst habe. Die Angaben wurden bislang nicht bestätigt.

 

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