Stuttgart: Württembergischer Kunstverein zeigt „Gurbet’s Diary”
Der Württembergische Kunstverein Stuttgart zeigt derzeit die Installation „Gurbet’s Diary” der Künstlerin Banu Cennetoğlu. Das Werk ist der kurdischen Journalistin und Guerillakämpferin Gurbetelli Ersöz gewidmet und besteht aus ihrem Tagebuch.
Der Württembergische Kunstverein Stuttgart stellt derzeit die Installation „Gurbet’s Diary” der türkischen Künstlerin Banu Cennetoğlu aus. Das fast zwei Tonnen schwere Werk in einem stählernen Regal besteht aus buchförmigen Kalksteinplatten, die jeweils mit einer Seite aus dem Tagebuch „Ich habe mein Herz in die Berge eingraviert” von Gurbetelli Ersöz bedruckt sind. Die studierte Chemikerin und Journalistin war Chefredakteurin der pro-kurdischen Zeitung Özgür Gündem. Nachdem sie in der Türkei in Haft kam und gefoltert worden war, schloss sie sich 1994 der Guerrilla an. Ab 1995 führte sie ein Tagebuch, bis sie 1997 im „Südkrieg” ums Leben kam.
Banu Cennetoğlu schreibt zu dieser Arbeit: „Dieses Werk besteht aus einer Bibliothek von 145 druckfertigen lithografischen Kalksteinplatten des Tagebuchs der kurdischen Journalistin, ersten Chefredakteurin der Zeitung Özgür Gündem und Freiheitskämpferin, Gurbetelli Ersöz (1965–97). Das zwischen dem 27. Juli 1995 und dem 8. Oktober 1997 geführte Tagebuch wurde erstmals 1998 im Mesopotamien-Verlag in Köln und 2014 im Aram-Verlag in Diyarbakır (Türkei) in Buchform veröffentlicht. In Anlehnung an die Guerillatradition, Tagebücher zu führen, um unterdrückte Geschichten zu erzählen, verfasste Ersöz einen persönlichen Bericht über ihr Leben und damit zugleich ein Zeitdokument, das einen Bruchteil des seit vierzig Jahren andauernden Krieges in der Türkei widerspiegelt. Am 10. Dezember 1993 wurde das Istanbuler Hauptquartier von Özgür Gündem – bekannt für seine ausführliche Berichterstattung über den anhaltenden Konflikt zwischen den türkischen Streitkräften und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – überfallen und mehr als neunzig Personen wurden festgenommen. Ersöz und ihre siebzehn Kolleg:innen wurden später verhaftet und nach dreizehn Tagen Folter zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Nach ihrer Freilassung im Juni 1994 durfte Ersöz ihren Beruf als Journalistin nicht weiter ausüben. Im Juli 1995 beschloss sie, sich der Guerilla der PKK anzuschließen. Am 8. Oktober 1997 wurde Ersöz in Südkurdistan von einem in Kassel hergestellten und von der türkischen Armee betriebenen Leopard-Panzer getötet; ihre Leiche wurde nie gefunden. Am 3. September 2021 befanden sich in der Türkei mehr als 8.500 kurdische Gefangene, darunter gewählte Politiker:innen und Journalist:innen, in Untersuchungshaft oder wurden wegen angeblicher Verbindungen zur PKK verurteilt. Hunderte von Büchern sind weiterhin verboten. Ersöz‘ Tagebuch ist eines davon.”
„Die Ausstellung reflektiert auch die historischen Zusammenhänge klassifizierender, normierender und ausschließender Regierungstechniken, die von der Entstehung moderner Nationalstaaten bis hin zur Etablierung global und digital agierender Ökonomien beleuchtet werden.”
Die Steine wurden in Spiegelschrift beschriftet, mit insgesamt 82.661 Wörtern. Sie sollen so für die Unmöglichkeit stehen, einen historisch „aufgeladenen“ Text abzudrucken. „Gurbet’s Diary” wurde zuvor bei der documenta 14 am Athener Standort der Weltkunstschau gezeigt. Das Bücherregal stand damals im Garten der Gennadius-Bibliothek in der griechischen Hauptstadt Athen. In Stuttgart wird die Installation von Cennetoğlu im Rahmen des letzten Teils Techniken des Werdens der Ausstellungreihe Actually, the Dead Are Not Dead ausgestellt. Im Vordergrund stehen Funktionen und Wirkungsweisen von Infrastrukturen. Institutionen, Netzwerke, Architekturen und Logistik materieller wie immaterieller Art werden im Hinblick auf ihre Verschränkungen mit den bestehenden neoliberalen und neokolonialen Gewaltverhältnissen untersucht.
Die Ausstellung im Württembergischen Kunstverein wurde am 16. Oktober eröffnet und kann noch bis zum 2. Januar 2022 besichtigt werden. Informationen finden sich unter https://www.wkv-stuttgart.de/programm/2021/ausstellungen/techniken-des-werdens/
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