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Britischer Parlamentarierbericht: Einstufung der PKK als „terroristisch“ überprüfen


Eine interfraktionelle Kommission im britischen Parlament fordert in einem Bericht zur politischen Vertretung und Gleichberechtigung von Kurden in Syrien und der Türkei die britische Regierung auf, die Listung der PKK als „terroristisch“ zu überprüfen.

Die Allparteien-Kommission (APPG) zu Kurdistan in Syrien und der Türkei im britischen Parlament hat einen Bericht zur politischen Vertretung und Gleichberechtigung von Kurdinnen und Kurden veröffentlicht und stellt der Regierung in Ankara ein verheerendes Zeugnis aus. In dem Land herrsche eine „Krise der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit“ sowie ein grundlegender Zusammenbruch der Demokratie. Die Behandlung der kurdischen Gesellschaft und Mandatstragenden gehöre zu den größten Bedrohungen für demokratische Verhältnisse in der Türkei und der gesamten Region, hebt die Gruppe hervor und sieht die dringende Notwendigkeit einer politischen Lösung des kurdischen Konflikts. In diesem Kontext müsse die Listung der PKK als „Terrororganisation“ überprüft werden.

Listung der PKK überprüfen

Die interfraktionelle Gruppe empfiehlt der britischen Regierung, der PKK und der türkischen Führung einen „klaren Prozess zur politischen Lösung des Konflikts“ vorzuschlagen und tritt dafür ein, dass Verfahren zur Aufnahme „terroristischer Organisationen“ auf entsprechenden Listen einer ständigen Überprüfung unterzogen werden und auf öffentlichen Kriterien beruhen sollten. Im Fall der PKK müsse die Einstufung der PKK als terroristische Organisation auf der Grundlage aktueller Beweise und jüngerer Urteile von Gerichten in Belgien und europäischer Gerichtshöfe überprüft werden. Die Allparteien-Kommission verweist auf eine Entscheidung des belgischen Kassationshofs vom Januar 2020, wonach die kurdische Arbeiterpartei keine „terroristische Organisation”, sondern eine Partei in einem bewaffneten Konflikt ist. Die britische Regierung sollte ihre Erfahrungen aus dem Nordirlandkonflikt nutzen und eine friedliche Lösung des kurdischen Konflikts unterstützen, fordert die Gruppe.

Repression gegen HDP führt zur Eskalation von Konflikten

Für den Bericht der APPG sind deutliche Feststellungen in Bezug auf die staatliche Unterdrückung der politischen Vertretung der kurdischen Bevölkerung getroffen worden: „Die Repression gegen Gewählte der pro-kurdischen HDP-Partei umfasst Absetzung, Amtsenthebung und Anklageerhebung wegen terroristischer Straftaten sowie Inhaftierung und Folter (…). Diese Fälle von Repression und Gewalt führen zu einer Eskalation des Konflikts zwischen dem türkischen Staat und kurdischen Gruppen.“ Als Beispiel führt die Gruppe die zahlreichen Gerichtsverfahren gegen die früheren Parteivorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ an. Beide waren im November 2016 wegen angeblichen Verbindungen zur PKK verhaftet worden. „Demirtaş wurde unter dem Vorwurf vor Gericht gestellt, er sei 1978 an der Gründung der PKK beteiligt gewesen. Damals war er fünf Jahre alt. Außerdem wurde er angeklagt, weil er die Worte ‚Kurden‘ und ‚Kurdistan‘ in Reden verwendete“, hält der Bericht fest.  

Methode der Zwangsverwaltung

In dem 56-seitigen Papier wird auch auf die Methode der staatlichen Zwangsverwaltung in kurdischen Städten verwiesen, die von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der HDP oder ihrer Schwesterpartei DBP regiert wurden. Von den 65 von der HDP bei der Wahl im März 2019 gewonnenen Kommunalverwaltungen sind nur noch sechs übrig. In 59 Städten oder Bezirken wurden die demokratisch gewählten Ortsvertreter:innen abgesetzt und durch einen von der Regierung ernannten Treuhänder ersetzt. Ein großer Teil wurde in der Folge verhaftet. Zwischen August 2019 und Januar 2021 befanden sich 72 ehemalige Ko-Bürgermeister:innen zu verschiedenen Zeitpunkten im Gefängnis, 19 von ihnen sind weiterhin hinter Gittern. Die Allparteien-Kommission verweist auf den Jahresbericht von Human Rights Watch für 2021, in dem es heißt: „Unabhängig davon, für welche Partei oder welchen Kandidaten sie gestimmt haben, ist der Wille von 4.356.819 Wählern in 48 Gemeinden, die dafür gestimmt haben, von einer ‚gewählten‘ Kommunalverwaltung regiert zu werden, durch die Ernennung von Treuhändern ausgehebelt worden.“

Gewalt gegen Zivilgesellschaft verschärft

Der Bericht bestätigt, dass sich die massive Repression nicht nur gegen die politische Vertretung der Kurdinnen und Kurden, sondern auch gegen die Zivilgesellschaft richtet. Die Kommission macht deutlich: „In dem Ausmaß, in dem die Unterdrückung demokratisch gewählter Vertreter zugenommen hat, hat sich auch die Gewalt gegen die kurdische Zivilgesellschaft verschärft. Kurdische Kultur- und Sprachorganisationen wurden von der türkischen Regierung geschlossen. In vielen Städten der kurdischen Region wurden Ausgangssperren verhängt. Die Städte wurden von Militär- und Polizeikräften angegriffen; diese Angriffe richteten sich gezielt gegen Zivilisten.“

Kulturelle Assimilation

Mit Nachdruck gerügt wird die kulturelle Assimilation der kurdischen Bevölkerung. Die interfraktionelle Gruppe kritisiert, dass sich die Türkei weigert, die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die APPG habe Beweise erhalten, dass dies die Bildung kurdischer Kinder stark beeinträchtigt hat. „Die Gewerkschaft für Bildung und Wissenschaft (Eğitim-Sen) veröffentlichte im Januar 2021 einen Bericht, in dem es heißt, dass 200.000 Kindern in Diyarbakir und sechs Millionen Kindern in Nordkurdistan entweder die muttersprachliche Bildung verweigert wurde oder sie gezwungen wurden, ausschließlich auf Türkisch zu lernen. Außerdem wurde es den Kindern unmöglich gemacht, von ihren Eltern oder Betreuern beim Lernen unterstützt zu werden.“

In dem Bericht wird ferner darauf hingewiesen, dass mit der Ernennung eines Zwangsverwalters für Amed (tr. Diyarbakir) insgesamt 31 Schauspieler:innen am Stadttheater entlassen und Theaterstücke in kurdischer Sprache verboten wurden. Weiter kritisiert die Gruppe das Verbot des kurdischen Kinderkanals Zarok TV und stellt fest, „dass die Schließung kurdischer Organisationen und Institutionen in den kurdischen Mehrheitsgebieten in der Türkei das Recht auf den Gebrauch der kurdischen Sprache und das Recht auf kulturelle Ausdrucksformen einschränkt. Dies ist besonders besorgniserregend für die Fortexistenz der kurdischen Sprache und Kultur bei den jüngeren Generationen.“ Die APPG empfiehlt der britischen Regierung, die Entscheidung Ankaras zu verurteilen, mehrere Institutionen zu schließen, die das kurdische kulturelle Leben fördern. 

Genderbasierte Unterdrückung: Kurdische Frauen sind doppelt unterdrückt

Ein weiteres Thema, mit dem sich der Bericht auseinandersetzt, ist die genderbasierte Unterdrückung in der Türkei und Nordkurdistan. Hier stellt die Gruppe fest: „Die Türkei rangiert bei den Indizes zur Gleichstellung der Geschlechter durchweg auf den hinteren Plätzen. Die Gewalt gegen Frauen nimmt seit mehreren Jahren in alarmierendem Ausmaß zu. Vor kurzem ist die Türkei aus der Istanbul-Konvention ausgetreten, eine Entscheidung, die einen Ausdruck mangelnden Engagements im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt und Unterdrückung darstellt. Kurdische Frauen sind aufgrund ihres Geschlechts und ihrer ethnischen Zugehörigkeit einem doppelten Risiko von Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt. Das Engagement der HDP für die politische Vertretung von Frauen hat dazu geführt, dass ihre Politikerinnen zu Zielen systematischer, staatlich geförderter Frauenfeindlichkeit werden.“ Nach dem aktuellen Gender-Gap-Report rangiert die Türkei auf Platz 130 von 154 Staaten.

Der Parlamentarierbericht führt aus: „Während viele der politischen Bewegungen in mehrheitlich kurdischen Gebieten darauf abzielen, die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern, hat die Schließung von Frauenräumen das türkeiweite Problem der Geschlechterungleichheit vertieft.“ Insbesondere wird auf die Repression gegen die kurdische Frauenbewegung, Frauenmedien und Fraueneinrichtungen hingewiesen.

Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe

Die Menschenrechtsanwältin und Aktivistin Margaret Owen kämpft seit Jahrzehnten für Gleichberechtigung und hat sich intensiv mit der kurdischen Frage auseinandergesetzt. Zu dem Bericht der britischen Kontrollgruppe hat auch sie beigetragen: „Die Erdoğan-Regierung erweist sich nicht nur als rassistisch und kurdenfeindlich, sondern auch als frauenfeindlich.“ In einem Bericht der Frauenbewegung TJA wird angeführt, dass die Zahl der Femizide in den 18 Jahren AKP-Herrschaft um 1400 Prozent angestiegen ist. Die TJA hat für das Jahr 2020 allein für Nordkurdistan 2520 Fälle von physischer, geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen registriert. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Die APPG warnt: „Hinzu kommt, dass mit der wachsenden Zahl von Frauen, die festgenommen oder inhaftiert werden, die Zahl der Frauen, die in der Haft sexualisierte Gewalt erfahren, ebenfalls deutlich steigt. Das Rechtshilfebüro in Fällen von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung in Haft stellte in einem Bericht fest, dass in den letzten 20 Jahren 544 Frauen in Haft sexuell missbraucht wurden, 389 der Täter waren Polizeibeamte, 125 Soldaten und 66 Justizvollzugsbeamte. Diese Taten, werden von der TJA als Beispiele für ‚sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe‘ definiert.“

In diesem Zusammenhang fordert die Kommission die britische Regierung dringend dazu auf, die Türkei unter Druck zu setzen, wieder in die Istanbul-Konvention einzutreten. An den Europarat gerichtet appellieren die Kommissionsmitglieder zu prüfen, „wie die Stimmen der Frauen im Widerstand gegen den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schweigen gebracht werden, und inwiefern dies einen Bruch des Rechts auf Meinungsfreiheit darstellt.“

Permanenter Angriff auf Meinungs- und Pressefreiheit

Zur Meinungs- und Pressefreiheit wird in dem Bericht festgestellt: „Die Presse- und Meinungsfreiheit wird von der türkischen Regierung permanent angegriffen. Ein Drittel der weltweit inhaftierten Journalisten wurde ab 2016 in der Türkei inhaftiert. Die staatliche Zensur richtet sich insbesondere gegen kurdische Medien oder solche, die als Medien gesehen werden, die mit den Rechten der Kurden sympathisieren.“

Der Bericht erfasst die Zahl von 71 wegen ihrer Arbeit inhaftierten Medienschaffende darüber hinaus wurden 62 Zeitungen, 24 Radio-Stationen, 19 Magazine und 29 Verlage nach 2016 verboten bzw. vom Regime geschlossen. Insgesamt wurden 177 Medienorganisationen geschlossen, was zur Folge hatte, dass fast 2.500 Journalisten und Medienschaffende arbeitslos wurden.

In ihrem Bericht drängen die Parlamentarier:innen die britische Regierung. „die Zerstörung der Meinungsfreiheit durch die Unterdrückung freier Medien zu verurteilen.“ Weiter heißt es: „Die APPG ist der Ansicht, dass die Verhaftung von Journalisten die Freiheit des Einzelnen, Kritik an der Regierung oder den Gräueltaten, die in der Türkei geschehen, zu äußern, einschränkt.“

Bericht wurde an Außenminister geschickt

Am 4. August gab Lloyd Russell-Moyle, der Vorsitzende der Gruppe und Abgeordneter der Labour- Partei, bekannt, dass der Bericht an den britischen Außenminister Dominic Raab geschickt worden sei. Bislang wurde noch keine offizielle Antwort auf das Positionspapier veröffentlicht. Die APPG-Untersuchung war am 9. November 2020 ins Leben gerufen worden, um „den aktuellen Stand der kurdischen Gleichberechtigung und politischen Vertretung in der Türkei zu untersuchen.“

 

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