Dorfschützer zerstören Haus von ezidischem Rückkehrer
Dorfschützer zerstören Haus von ezidischem Rückkehrer
40 Jahre nach seiner Vertreibung wollte der Ezide Süleyman Özmen aus Midyad zurück in sein Dorf Kfernas, doch die dortigen Dorfschützer finden kein Gefallen daran. Erst misshandelten sie den 63-Jährigen, danach rissen sie sein Geburtshaus ab.
Mehr als 40 Jahre nach der Vertreibung seiner Familie aus dem ezidischen Dorf Kfernas (tr. Çayırlı) bei Midyad ist Süleyman Özmen an seinen Geburtsort zurückgekehrt. Seit 2019 versucht er aus eigener Kraft, das verfallene elterliche Haus wiederaufzubauen. Häufig wurde der 63-Jährige seither mit Drohungen aus dem Lager von feudalen Stämmen und Dorfschützern konfrontiert, von denen er sich allerdings unbeeindruckt zeigte. Nun ist die Lage offenbar eskaliert. Letzte Woche wurde Özmen bei Bauarbeiten in Kfernas von einer sechsköpfigen bewaffneten Gruppe überrascht. „Die Männer hielten mir ihre Waffen ins Gesicht und forderten mich auf, das Dorf zu verlassen. Als ich mich weigerte, beschimpften sie mich, stürzten sich auf mich und schlugen zu“, schildert Süleyman Özmen. Zu allem Überfluss muss sich der Ezide nach der Tortur mit ansehen, wie die mühsam wieder errichteten Mauern seines Elternhauses von einem Bagger eingerissen werden.
Mit Waffe bedroht
„Sie sagten, sie seien der Staat, als sie mir eine Waffe an den Kopf hielten“, erklärt Özmen rückblickend. Nach dem Übergriff fuhr der Mann direkt in das staatliche Krankenhaus Midyad und ließ sich die Prellungen und Hämatome an seinem Körper attestieren. Zusammen mit weiteren Beweisen übergab er das Attest der Generalstaatsanwaltschaft. „Gewiss ist mir nicht wohl bei dem Gedanken an diese Personen, die sich hinter Stammesidentitäten und Dorfschützertum verstecken. Aber ich bin entschlossen, den juristischen Weg zu gehen, um diese Personen zur Rechenschaft zu ziehen.“ Seit Jahren kämpfe er dafür, in sein Heimatdorf zurückzukehren. Auch andere ezidische Vertriebene wollen zurück. „Doch diejenigen, die sich an diesem Gedanken stören, behaupten, wir seien Fremde und hätten nicht das Recht, Ansprüche geltend zu machen. Dabei stehen auf den Besitzurkunden unsere Namen. Trotzdem machen sie uns das Leben schwer“, empört sich Özmen.
Vor 50 Jahren noch tausende Eziden
Vor einem halben Jahrhundert lebten in den acht ezidischen Dörfern in Midyad, einem Landkreis in der Provinz Mêrdîn, rund 6.000 Ezidinnen und Eziden. Fast alle wurden in den 1980er Jahren vom Staat vertrieben. Zwar wollen viele Angehörige der uralten Religionsgemeinschaft in ihre angestammten Dörfer zurückkehren, sehen sich aber mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. Zum einen gibt es für den Wiederaufbau keine Unterstützung, zum anderen fehlt auch die finanzielle Perspektive. Seit die Ezid*innen vertrieben wurden und ihr Land verlassen mussten, haben sich Muslime entweder mit oder ohne deren Zustimmung in ihren Häusern niedergelassen und bestellen ihre Anbauflächen. Darauf wollen die wenigsten verzichten, erst recht nicht Dorfschützer und Personen, die sich am Besitz der Ezid*innen bereichert haben.
„Alles zerstört“, beklagt Özmen
Süleyman Özmen jedenfalls kann seinen Geburtsort seit inzwischen einer Woche nicht mehr betreten. Von der Öffentlichkeit wünscht er sich Unterstützung in seinem Kampf, seinen Lebensabend doch noch in den elterlichen vier Wänden zu verbringen.
Was sind Dorfschützer?
Dorfschützer sind paramilitärische Einheiten, die in Kurdistan gegen die Guerilla und unliebsame Oppositionelle eingesetzt werden. Sie bestehen zu einem beträchtlichen Teil aus Stammesführern, Großgrundbesitzern, Familien und Einzelpersonen, die oft seit Jahrzehnten mit dem Staat zusammenarbeiten und versuchen, in Kurdistan für die Interessen des Staates einzutreten. Ein Teil der Dorfschützer tritt diesem System freiwillig bei, andere werden mit Mord, Verhaftung und Vertreibung bedroht und müssen unter Druck Dorfschützer werden. Als historisches Vorbild der Dorfschützer gelten die Hamidiye-Regimenter im Osmanischen Reich. Das heutige Dorfschützersystem ist 1985 entstanden, ein Jahr nach dem Auftakt des bewaffneten Kampfes der Arbeiterpartei Kurdistans. Damals begann die türkische Regierung unter Turgut Özal damit, kurdische Stämme und Clans im Krieg gegen die PKK anzuwerben und zu bewaffnen.
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