Die humanitäre Lage in Syrien wird immer schlimmer. Gleichzeitig wird es
für Helfer immer schwieriger, etwas zu tun. Grund: das Assad-Regime -
und ein US-Gesetz.
Vor einer ungewissen Zukunft: ein Mädchen in einem Lager für Binnenvertriebene im Nordwesten Syriens
Foto: RAMI AL SAYED/ AFP
Im Lagerkomplex "Al-Haul" in Nordsyrien werden mutmaßliche
Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" und deren Angehörige
festgehalten. Ein Forscher bezeichnete
das Lager kürzlich als weltweit größten Rekrutierungspool für
Dschihadisten. Auch die humanitäre Lage dort ist schwierig - und nun
gibt es nach Angaben der Uno auch noch die ersten Corona-Fälle im Lager.
Das Virus breitet sich in ganz Syrien immer weiter aus.
"Das syrische Gesundheitssystem ist nicht in der Lage, alle
mutmaßlichen Fälle zu absorbieren und seine Krankenstationen anzupassen,
um die steigende Zahl von Covid-19-Patienten aufzunehmen", warnt die Uno.
Die Pandemie mit ihren Folgen trifft Syrien in einem Jahr, das ohnehin für viele Menschen dort so schwierig ist wie nie zuvor:
Die Lebensmittelpreise sind auf Rekordniveau, im Vergleich zum letzten Jahr sind sie um 250 Prozent gestiegen.
Viele
Menschen wissen nicht mehr, woher sie Essen bekommen und wie sie diesen
Winter heizen sollen, um nicht zu verhungern oder zu erfrieren.
Gleichzeitig wird es ausgerechnet jetzt für die internationalen
Helfer noch schwieriger, die Menschen in Syrien zu unterstützen. Dies
war ohnehin nie leicht. Denn das syrische Regime von Machthaber Baschar
al-Assad, das auf dem Papier wieder den Großteil des Landes
kontrolliert, manipuliert die Hilfe für seine Zwecke. Zudem lässt es nur
wenige Hilfsgüter in die Gebiete bringen, die besonders verwüstet sind.
Zu dieser Notlage kommt noch der im Juni in Kraft getretene
US-amerikanische "Caesar Act" hinzu, der Sanktionen gegen jeden, der das
Regime unterstützt, vorsieht; Banken schrecken auch deshalb davor
zurück, humanitäre Gelder nach Syrien durchzulassen.
"Das Geld nach Syrien zu bekommen, ist derzeit eines der größten
Probleme", sagt Oliver Müller, Leiter von Caritas international, dem
Hilfswerk der deutschen Caritas. "Durch die Sanktionen, insbesondere
durch den 'Caesar Act', ist es noch einmal wesentlich schwieriger
geworden, weil alle Banken extrem vorsichtig sind, auch wenn humanitäre
Hilfe offiziell von den Sanktionen ausgenommen ist", sagt er. "Zeitweise
muss der syrische Caritas-Leiter persönlich nach Beirut fahren, um
genau zu dokumentieren, was mit dem Geld passieren soll."
Geld für einen Wiederaufbau würde beim Assad-Regime landen
Dazu
kommt, dass manche Hilfe derzeit überhaupt nicht erlaubt ist. Die
Europäer und die USA wollen keinen Wiederaufbau finanzieren, solange das
Regime zu keinem echten politischen Prozess bereit ist, der zu freien
und fairen Wahlen führt.
Nicht wenige Experten unterstützen
diese Haltung. Denn jedem ist klar: Das Geld für einen Wiederaufbau
würde wohl zu einem großen Teil in den Taschen des syrischen Regimes
verschwinden und dessen grausame Herrschaft festigen - anstatt
denjenigen zu helfen, die es brauchen. Und so tut sich in Syrien wenig,
obwohl in weiten Teilen des Landes die Kämpfe vorüber sind.
Noch immer in Trümmern: ein Stadtteil von Aleppo im Juni 2020.
Foto: AFP
Auch Experte Müller macht sich keine Illusionen über das syrische
Regime. Dennoch fordert er von der Bundesregierung ein Umdenken: "Die
sehr rigide Haltung, die reine Konzentration auf Nothilfe, ist aus
humanitärer Sicht nicht tragbar", sagt er. "Manche Maßnahmen, wie etwa
die Instandsetzung zerstörter Häuser oder der Aufbau von
Gesundheitszentren, sind dringend notwendig, um das Überleben der
Menschen möglich zu machen."
Ähnlich hatte sich bereits im April auch die Nahost-Expertin Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik geäußert:
Deutschland und seine Partner sollten effektiver als bisher zur
Linderung der Not in Syrien beitragen. Zudem sollte aber auch die
Strafverfolgung von Vertretern des Regimes weiter unterstützt werden.
Der Westen zahlt 90 Prozent der humanitären Hilfe für Syrer
Die
Forderung nach effektiveren Hilfen, allen voran die der Vereinten
Nationen, umschreibt höflich, dass die Arbeit der Uno in Syrien in der
Kritik steht. Die Uno ist für den Zugang nach Syrien auf Assad
angewiesen. Entsprechend muss sie Zugeständnisse machen an das Regime,
wer was bekommt.
Es entbehrt dabei nicht der Ironie, dass die Europäer und die USA den Großteil der humanitären Hilfe für Syrer bezahlen, 90 Prozent
– und nicht etwa Russland, das als Verbündeter des Regimes erheblich
zur Zerstörung des Landes beigetragen hat. Die Hilfe des Westens wird
teilweise an Organisationen wie die Caritas ausgezahlt, größtenteils
jedoch an die Uno.
Natürlich stehen auch Nichtregierungsorganisationen unter dem Druck
des Regimes. Doch Experte Müller ist trotzdem optimistisch, dass mit
genauem Hinsehen und einer stärkeren Verteilung der Hilfe auf
verschiedene Kanäle mehr für die Menschen erreicht werden könnte.
"Wir
erleben in Syrien, dass es NGOs gibt, die trotz aller Schwierigkeiten
relativ frei arbeiten können", sagt Müller. "Wir sind in der Lage, in
Aleppo zu arbeiten, ohne dass wir der Regierung eine Liste der
Begünstigten vorlegen müssen, von der dann Namen gestrichen oder andere
hinzugefügt werden." Ein sonst in Syrien übliches Vorgehen.
Das
Dilemma der Helfer wird zunehmend größer, je schwieriger die Lage der
Menschen in Syrien wird. Denn an der Brutalität des syrischen Regimes,
das durch die Hilfe gestützt werden dürfte, bestehen keine Zweifel.
Gerade liefert ein Prozess in Koblenz, wo zwei Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes sich verantworten müssen, neue Einblicke
in unvorstellbare Abgründe. Vergangene Woche berichtete dort ein Zeuge,
wie er sechs Jahre lang viermal die Woche einen Lastwagen voll mit
Leichen zu anonymen Massengräbern fuhr. Die Leichen, jedes Mal Hunderte,
bekam er von den verschiedenen Abteilungen des syrischen Geheimdienstes
– zur Entsorgung.
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