Türkei setzt Wasser als Waffe ein
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Das Wasserwerk Allouk versorgt
Hunderttausende Menschen in Nordost-Syrien. Seit der türkischen Invasion
im Oktober stockt die Versorgung.
Menschenrechtler und
Hilfsorganisationen werfen der Türkei vor, die Menschen im Nordosten
Syriens bewusst von einer ausreichenden Wasserversorgung abzuschneiden.
Mindestens 700.000 Menschen, darunter zahlreiche Binnenflüchtlinge
leiden seit Monaten unter extremer Wasserknappheit, in der Hitze des
syrischen Sommers spitzt sich die Situation zu.
Nach der dritten türkischen Invasion in Nordsyrien
im Oktober vergangenen Jahres besetzten die türkische Armee und die mit
ihr verbündeten islamistischen Söldnertruppen im Zuge der Operation
„Friedensquelle“ einen etwa 120 Kilometer breiten und 30 Kilometer
tiefen Streifen östlich des Euphrat, in dem auch das Wasserpumpwerk
Allouk nahe der Kleinstadt Serekaniye liegt.
Bis zu eine Million Menschen betroffen
Mit
den 10 Pumpen von Allouk wurden in Friedenszeiten mindestens 700.000,
möglicherweise bis zu einer Million Menschen in der Provinz Al-Hasakeh
mit Wasser versorgt. Beim Beginn der Offensive wurde das Wasserwerk von
Artilleriegeschossen oder einem Luftangriff getroffen und fiel aus.
Obwohl es später repariert wurde, stockt die Wasserzufuhr noch immer.
Wie
die in London ansässige Syrische Beobachtungstelle für Menschenrechte
(SOHR) berichtet, sind nur wenige der Pumpen in Betrieb, zudem wurde das
Wasserwerk seit dem vergangenen Oktober bereits sieben Mal komplett
abgestellt, zuletzt am 5. Juli. Für die betroffenen Menschen hat das
dramatische Folgen. In die Region haben sich Zehntausende Menschen vor
der türkischen Invasion in Sicherheit gebracht. Allein in den
Flüchtlingscamps Washokani und Aresha leben rund 26.000
Binnenflüchtlinge, viele andere haben in provisorischen Unterkünften
Obdach gefunden.
Helfer: Die Menschen sind verzweifelt
Betreut
werden sie unter anderem vom Kurdischen Roten Halbmond (KRC). „Die
Situation ist sehr kompliziert, die Menschen sind verzweifelt“,
berichtet Sarah Montinaro, Projektmanagerin beim KRC. Die Temperaturen
in der Region erreichten aktuell 45 Grad Celsius, neben der Hitze
bedrohe auch die Corona-Pandemie die Bevölkerung. Ohne Wasser sei es
unmöglich, die notwendigen Hygiene-Maßnahmen durchzuführen. „Die
Wasserversorgung zu unterbrechen, ist ein klarer Verstoß gegen die
Menschenrechte“, so Montinaro.
Zu
einem ähnlichen Schluss kam der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags
bereits im April. Es spräche vieles dafür, dass Türkei in der Region
eine Besatzungsmacht sei, heißt es in einer damals veröffentlichten
Analyse. In diesem Fall hätte die Türkei eine humanitäre und
völkerrechtliche Pflicht zur Versorgung der Bevölkerung mit sauberem
Trinkwasser. „Die öffentlich zugänglichen Medienberichte deuten
mehrheitlich darauf hin, dass die Türkei für die Wasserversorgungskrise
zumindest mitverantwortlich zeichnet“, heißt es in der Analyse weiter.
Menschenrechtler: Türkei spielt ein schmutziges Spiel
„Die
Türkei spielt ein schmutziges Spiel“, sagt Kamal Sido, der
Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker. Er wirft der Türkei
vor, Wasser als Waffe einzusetzen, um die Legitimation der kurdisch
dominierten Selbstverwaltung in Nordost-Syrien zu schwächen.
Laut
dem der Selbstverwaltung nahestehenden „Rojava Informationszentrum“
(RIC) versuchen Hilfsorganisationen und die Selbstverwaltung die
Bevölkerung derzeit über Tanklaster mit täglich zusätzlich etwa 3,7
Millionen Liter Wasser zu versorgen, das seien etwa acht Liter pro
Person. „Das reicht geradeso zum Überleben, laut
Weltgesundheitsorganisation braucht es aber mindestens 20 Liter pro Tag
nur für die Corona-Hygieneempfehlungen.“ Zudem müsse das Wasser aus
anderen Regionen herangeschafft werden. „Das führt andernorts zu
Verknappungen und ist auf lange Sicht nicht nachhaltig.“
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