Opfer sexualisierter Gewalt in Syrien Vergewaltigungen, Zwangsabtreibungen, Elektroschocks
- Link abrufen
- X
- Andere Apps
SPIEGEL Politik. Aus Koblenz berichtet
Pascale Müller
Sexualisierte Gewalt ist in Syriens Gefängnissen allgegenwärtig, die
Opfer erfahren Ächtung auch von ihren Familien. Eine Anwältin kämpft
dafür, dass die Taten als Kriegsverbrechen verfolgt werden - vor einem
deutschen Gericht.
Joumana Seif sieht müde aus an diesem Tag Anfang Juni. Schon um halb
sieben morgens hat sie vor dem Oberlandesgericht Koblenz angestanden,
danach viele Stunden im Gerichtssaal verbracht. Jetzt sitzt sie in ihrer
Pension, spricht leise: "Es war auf eine sehr schreckliche Art und
Weise, mit einem Gegenstand aus Metall, mit Flaschen, mit Gläsern", sagt
sie. Kurz schließt sie die Augen. Hält inne. "Nein", sagt sie dann.
"Man kann dazu nichts sagen."
Joumana Seif ist Frauenrechtsaktivistin, Anwältin und kommt aus Syrien. Seit mehr als zwei Jahren beschäftigt sie sich mit sexualisierter Gewalt in den Foltergefängnissen des Regimes von Baschar al-Assad. Hunderte Geschichten von Überlebenden habe sie in den vergangenen Jahren gehört, sagt sie.
Mit mehr als 70 davon habe sie selbst gesprochen. Schwierig ist es immer. Sie erzählen Seif von übergriffigen Leibesvisitationen, sexueller Belästigung, erzwungenem Geschlechtsverkehr mit anderen Gefangenen, Verstümmelung der Genitalien, von Zwangsabtreibungen, Elektroschocks an Brüsten und Genitalien und Vergewaltigungen.
Mit mehr als 70 davon habe sie selbst gesprochen. Schwierig ist es immer. Sie erzählen Seif von übergriffigen Leibesvisitationen, sexueller Belästigung, erzwungenem Geschlechtsverkehr mit anderen Gefangenen, Verstümmelung der Genitalien, von Zwangsabtreibungen, Elektroschocks an Brüsten und Genitalien und Vergewaltigungen.
Die Anwältin, die seit einigen Jahren in Deutschland lebt, hat den
ganzen Tag im Oberlandesgericht Koblenz verbracht. Hier findet seit
April der weltweit erste Strafprozess wegen staatlicher Folter in Syrien
statt. Angeklagt sind zwei Männer, die im Khatib-Gefängnis in Damaskus
für Folter
an Gefangenen mit verantwortlich gewesen sein sollen. Sexualisierte
Gewalt spielt bei der Anklage nur eine untergeordnete Rolle.
Feras Fayyad, der erste Zeuge, der an diesem Tag Anfang Juni aussagt,
schildert, wie er in Haft vergewaltigt wurde. Die Richterin jedoch geht
darauf nicht gesondert ein - es bleibt eine weitere grausame
Foltermethode unter vielen, die an diesem Tag zu hören sind.
"Es ist wirklich schwierig. Manchmal macht mich das sehr emotional",
sagt Seif über den Tag im Gericht. Sie kennt das Regime. Ihr Bruder
verschwand 1996, ihr Vater Riad Seif, ein bekannter Oppositioneller und
Gegner des Assad-Regimes, saß Anfang des Jahrtausends fünf Jahre in
Haft. Heute sagt sie deshalb: "Ich fühle mich verantwortlich, für
Gerechtigkeit und Rechenschaft zu kämpfen."
"Die
Realität ist, dass sexualisierte Gewalt systematisch, flächendeckend
und vorsätzlich begangen wird, um die Gesellschaft im Ganzen zu
demütigen und die Opposition zu unterdrücken"
Seif ist davon überzeugt, dass das syrische Regime sexualisierte
Gewalt seit Jahren als Kriegswaffe einsetzt und dass dies strafrechtlich
auch so verfolgt werden sollte. "Die Realität ist, dass sexualisierte
Gewalt systematisch, flächendeckend und vorsätzlich begangen wird, um
die Gesellschaft im Ganzen zu demütigen und die Opposition zu
unterdrücken - das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit", sagt
sie.
Laut einem Bericht der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen
sollen in mindestens 20 syrischen Haftanstalten Frauen und Mädchen
vergewaltigt und missbraucht worden sein. In mindestens 15 auch Männer
und Jungen. Doch in der Strafverfolgung spiegeln sich diese Zahlen
bisher kaum wider. Sie ist weitestgehend blind für
geschlechterspezifische Gewalt.
Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), für das Seif arbeitet, hat deshalb im Namen von sieben Überlebenden und zusammen mit zwei syrischen Frauenrechtsorganisationen am Mittwoch eine Strafanzeige beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eingereicht. Die Anzeige richtet sich gegen den Syrer Jamil Hassan und acht weitere Verdächtige. Es ist der weltweit erste Versuch, sexualisierte Gewalt in syrischen Haftanstalten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu bringen.
Hassan war von 2009 bis 2019 Chef des syrischen Luftwaffengeheimdienstes. Er ist ein Mann des Regimes. Gegen Hassan hatte der Generalbundesanwalt bereits 2018 einen internationalen Haftbefehl erlassen. Unter seiner Führung sollen Hunderte Menschen in syrischen Gefängnissen systematisch gefoltert und umgebracht worden sein.
Eine der Anklägerinnen ist Zeugin 107, die angibt, ganz am Ende ihrer Haft von Jamil Hassan persönlich verhört worden zu sein. 2012 wurde sie festgenommen, sie war damals schwanger. Über einen Monat habe sie in Einzelhaft in einem Gefängnis des Luftwaffengeheimdienstes in der Stadt Hama verbracht. Während Verhören hätten ihr die Männer immer wieder Fragen zu ihrem Intimleben mit ihrem Ex-Mann gestellt. Nach über einem Monat sei sie verlegt worden, in ein Internierungslager auf einem Flughafen. Dort habe sie viele Leichen gesehen. Sie selbst sei eines Abends auf dem Weg zur Toilette brutal vergewaltigt worden. Die Frau gibt an, daraufhin erneut verlegt und während Verhören gefoltert worden zu sein. Sie habe vaginale Blutungen bekommen. Als diese nicht aufgehört hätten, sei sie in einem Militärkrankenhaus zwangsoperiert worden - ohne Betäubung. Die Frau erlitt daraufhin eine Fehlgeburt.
"Für mich sind es Überlebende", sagt Joumana Seif. "Aber einige von ihnen lehnen diese Bezeichnung ab. Sie leiden noch immer unter all den Auswirkungen, die das mit sich bringt." Es sind nicht nur körperliche und psychische Folgen, die sie meint. Frauen und Mädchen werden nach ihrer Haftentlassung diskriminiert und ausgegrenzt.
Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), für das Seif arbeitet, hat deshalb im Namen von sieben Überlebenden und zusammen mit zwei syrischen Frauenrechtsorganisationen am Mittwoch eine Strafanzeige beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eingereicht. Die Anzeige richtet sich gegen den Syrer Jamil Hassan und acht weitere Verdächtige. Es ist der weltweit erste Versuch, sexualisierte Gewalt in syrischen Haftanstalten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu bringen.
Hassan war von 2009 bis 2019 Chef des syrischen Luftwaffengeheimdienstes. Er ist ein Mann des Regimes. Gegen Hassan hatte der Generalbundesanwalt bereits 2018 einen internationalen Haftbefehl erlassen. Unter seiner Führung sollen Hunderte Menschen in syrischen Gefängnissen systematisch gefoltert und umgebracht worden sein.
Eine der Anklägerinnen ist Zeugin 107, die angibt, ganz am Ende ihrer Haft von Jamil Hassan persönlich verhört worden zu sein. 2012 wurde sie festgenommen, sie war damals schwanger. Über einen Monat habe sie in Einzelhaft in einem Gefängnis des Luftwaffengeheimdienstes in der Stadt Hama verbracht. Während Verhören hätten ihr die Männer immer wieder Fragen zu ihrem Intimleben mit ihrem Ex-Mann gestellt. Nach über einem Monat sei sie verlegt worden, in ein Internierungslager auf einem Flughafen. Dort habe sie viele Leichen gesehen. Sie selbst sei eines Abends auf dem Weg zur Toilette brutal vergewaltigt worden. Die Frau gibt an, daraufhin erneut verlegt und während Verhören gefoltert worden zu sein. Sie habe vaginale Blutungen bekommen. Als diese nicht aufgehört hätten, sei sie in einem Militärkrankenhaus zwangsoperiert worden - ohne Betäubung. Die Frau erlitt daraufhin eine Fehlgeburt.
"Für mich sind es Überlebende", sagt Joumana Seif. "Aber einige von ihnen lehnen diese Bezeichnung ab. Sie leiden noch immer unter all den Auswirkungen, die das mit sich bringt." Es sind nicht nur körperliche und psychische Folgen, die sie meint. Frauen und Mädchen werden nach ihrer Haftentlassung diskriminiert und ausgegrenzt.
"Der
Vater oder ein Mitglied der Familie kommt einfach ins Gefängnis, um
ihnen zu sagen: Wenn du entlassen wirst, hast du keine Familie mehr."
"Selbst die Familien, die für die Revolution waren, haben die
weiblichen Gefangenen nicht nach ihren Erfahrungen gefragt", sagt Seif.
Zu schwer wiegt das Stigma sexualisierter Gewalt in der syrischen
Gesellschaft. In einigen Fällen seien Frauen nach ihrer Haftentlassung sogar getötet worden,
weil sie als Schande für die Familie empfunden wurden. "Sie werden
abgelehnt. Zu hundert Prozent abgelehnt", sagt Seif. "Der Vater oder ein
Mitglied der Familie kommt einfach ins Gefängnis, um ihnen zu sagen:
Wenn du entlassen wirst, hast du keine Familie mehr. Du bist nicht mehr
Teil meiner Familie."
Das syrische Regime benutze dies gezielt, um eine ganze Gesellschaft in Angst zu versetzen, argumentiert das ECCHR. Gegenüber dem International Rescue Committee, einer NGO mit Sitz in New York, gaben geflüchtete Syrerinnen und Syrer im Libanon und in Jordanien 2013 an, dass die Angst vor sexualisierter Gewalt der Hauptgrund für ihre Flucht gewesen sei. Trotzdem gibt es bis heute kaum Hilfsprogramme für Überlebende.
Das Verfahren, das derzeit in Koblenz stattfindet, gibt Joumana Seif Hoffnung, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden können. Sie habe sich niemals vorstellen können, eines Tages in diesem Gerichtssaal zu sitzen, sagt sie. Auch hofft sie, dass die Strafanzeige dazu führt, dass sich ein Bewusstsein entwickelt für die Folgen sexualisierter Gewalt in den Foltergefängnissen des Assad-Regimes. Denn bisher fehlt es an langfristiger psychologischer Unterstützung und medizinischer Versorgung. "Es ist nie wirklich ernst genommen worden", sagt Seif.
Das syrische Regime benutze dies gezielt, um eine ganze Gesellschaft in Angst zu versetzen, argumentiert das ECCHR. Gegenüber dem International Rescue Committee, einer NGO mit Sitz in New York, gaben geflüchtete Syrerinnen und Syrer im Libanon und in Jordanien 2013 an, dass die Angst vor sexualisierter Gewalt der Hauptgrund für ihre Flucht gewesen sei. Trotzdem gibt es bis heute kaum Hilfsprogramme für Überlebende.
Das Verfahren, das derzeit in Koblenz stattfindet, gibt Joumana Seif Hoffnung, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden können. Sie habe sich niemals vorstellen können, eines Tages in diesem Gerichtssaal zu sitzen, sagt sie. Auch hofft sie, dass die Strafanzeige dazu führt, dass sich ein Bewusstsein entwickelt für die Folgen sexualisierter Gewalt in den Foltergefängnissen des Assad-Regimes. Denn bisher fehlt es an langfristiger psychologischer Unterstützung und medizinischer Versorgung. "Es ist nie wirklich ernst genommen worden", sagt Seif.
- Link abrufen
- X
- Andere Apps
Kommentare
Kommentar veröffentlichen