Theater im Mikrokosmos Mexmûr
Mitten in der südkurdischen Wüste macht eine Gruppe junger
Schauspieler im Flüchtlingscamp Mexmûr Theater. Das Camp ist ein
Mikrokosmos und wenn ein Stück herauskommt, ist das tagelang
Gesprächsthema, es wird besprochen und kritisiert.
In den neunziger Jahren verließen tausende Menschen die nordkurdischen Region Botan aufgrund der Repression des türkischen Staates. Im südkurdischen Mexmûr haben sie ein selbstverwaltetes Flüchtlingslager aufgebaut. Aus dem Lager ist eine Kleinstadt und ein Beispiel der basisdemokratischen Selbstorganisierung geworden.
Mexmûr liegt zwischen den südkurdischen Städten Hewlêr, Mosul und Kerkûk an den Hängen des Berg Karaçox. Das Camp befindet sich in einer in jeder Hinsicht schwierigen Region. Es herrscht Wüstenklima, Skorpione und Schlangen sind zahlreich. Immer wieder werden das Camp und die Umgebung vom türkischen Staat und vom IS angegriffen. Die Bevölkerung leistet gegen all diese Schwierigkeiten Widerstand und hat aus dem Lager mit unglaublichen Mühen einen blühenden Garten gemacht. Trotz des Embargos durch die südkurdische PDK-Regierung halten die Menschen in Mexmûr ihre kurdischsprachigen Schulen, ihre Kooperativen und Räte aufrecht. Ein wichtiger Teil des Lebens in Mexmûr ist die Kunst und die Kultur.
Wir haben mit dem jungen Theaterregisseur Sîrwan Kanat über seine Arbeit gesprochen.
Könnten Sie sich zunächst vorstellen?
Ich bin 23 Jahre alt und wurde im Camp Ertûş geboren. Ich lebe im Moment im Camp Mexmûr. Dort habe ich die Grund- und Mittelschule sowie das Gymnasium besucht. Anschließend erhielt ich eine Ausbildung im Bereich Philosophie. Ich unterrichte hier im Camp Philosophie und arbeite gleichzeitig seit meiner Kindheit in der Theatergruppe am Kunstzentrum von Mexmûr mit. Die kurdische Sprache, die Philosophie und das Theater ergänzen sich für mich gegenseitig und prägen mein Leben stark. Philosophie, Sprache und Kunst waren für mich die ersten Schritte auf dem richtigen Weg.
Sie haben eine Theatergruppe. Wie wurde diese Gruppe gegründet und was haben Sie bis jetzt aufgeführt?
Wir haben ein kurzes, schönes Stück namens „Hêvî Yekta“ aufgeführt. Das Szenario ist von dem kurdischen Theaterautor Hêvî Şanoger geschrieben worden. Er starb 2004 bei einem Autounfall, als er zu einem Theaterfestival in Kerkûk unterwegs war. Sein Grab befindet sich in Mexmûr. Yekta Herekol ist ein anderer Revolutionär, der hier Kulturarbeit gemacht hat. Im Gedenken an diese beiden Künstler haben wir uns für den Namen Hêvî Yekta für unser erstes Stück entschieden. Es gibt schon langjährige Theaterarbeit hier. Aber unsere Gruppe wurde offiziell erst 2016 gegründet.
Wie viele Personen sind in Ihrer Gruppe und welche Stücke haben Sie bis jetzt aufgeführt?
Unsere Gruppe besteht aus sechs Personen, aber manchmal haben wir Hilfsdarsteller und Freund*innen aus dem Kulturzentrum, die unsere Gruppe, wenn nötig, komplettieren. Innerhalb von drei bis vier Jahren haben wir die Theaterstücke Hêvî Yekta, Demokrasî, Evîna Gul û Masî, Xwedawend, Windabûna Wateye, Zîlan und zuletzt eine Antigone-Interpretation, die wir Kurdistan nannten, aufgeführt. Mit einem der Stücke namens Wahrheitssuche gingen wir in Rojava auf Tournee. Wir hatten so die Gelegenheit, einerseits das Theater von Rojava kennenzulernen und andererseits in vielen Städten aufzutreten. Wir treten meist in Mexmûr auf. Wenn wir ein Stück vorbereitet haben, wird es mindestens drei Mal aufgeführt. Wir haben keinen großen Saal, aber ein paar geschlossene Räume, in denen wir spielen können.
Wie ist das Interesse aus der Bevölkerung in Mexmûr?
Die Bevölkerung liebt das Theater. Wir treffen uns nach unseren Möglichkeiten regelmäßig mit den Menschen und führen unsere Stücke auf. Das Camp ist ein Mikrokosmos, und wenn ein Stück herauskommt, ist das tagelang Gesprächsthema, es wird besprochen und kritisiert. Mit jedem unserer Stücke erreichen wir mindestens tausend Menschen. Wir spielen im Allgemeinen kostenlos. Unser Bedarf wird vom Kulturzentrum oder von uns selbst gedeckt.
Woran arbeiten Sie gerade?
Wir haben neu angefangen und bereiten uns auf den Frühling vor. Der Name des neuen Stücks lautete ‚Bûka Axê‘ (Die Braut der Erde); es ist eines der letzten Stücke, die von der Theatergruppe Şanoya Çiya geschrieben worden sind. Es ist ein Stück voller Patriotismus und Liebe zum Land und handelt von einem Hausierer, der im Kurdistan der neunziger Jahre lebt. Er zieht von Dorf zu Dorf und versucht Tauschhandel mit den Menschen zu machen. Er spricht kurdisch und liebt die Dörfer. Es dreht sich um den Versuch, die Menschen von den Dörfern zu trennen, um die Migration in die Stadt und die Errichtung der Staudämme. Die Realität der Freiheitsbewegung wird auf künstlerische Art und Weise dargestellt. Es geht um den Konflikt zwischen denen, die den letzten aufrichtigen Hausierer töten wollen, und um das Volk, das ihn liebt.
Wann wird es aufgeführt?
Die Dramaturgie ist fertig. Wir planen, Ende Februar damit fertig zu sein. Wenn wir gut vorankommen, können wir es nach dem 15. Februar aufführen. Das würde auch gut passen. Die Gruppe ist mit dem Stück beschäftigt, arbeitet aber gleichzeitig auch in Workshops.
Was wird dort gemacht?
Ein Bildungsprogramm in den Workshops dauert zwei bis drei Monate. Die Arbeit daran findet einmal wöchentlich statt, und es geht um die Grundlagen. Es gibt Unterricht in Stimmbildung, Gestik-Mimik und grundliegenden Schauspieltechniken. Wir bringen Menschen mit Bezug zum Theater mit denen zusammen, die professionell oder auch einfach so Theater machen wollen. Manche nehmen als Hobby daran teil. Das ist aber kein Problem, denn das Ziel des Workshops ist es, Interesse am Schauspiel zu wecken. Es ist eine soziale Aktivität. Die Ausbildung der Theatergruppe ist anders, es werden neben diesen Kursen auch theoretische und technische Inhalte behandelt. Es geht dabei um Regie und Dramaturgie. Die Workshops sind für alle offen; aber damit die Gruppe eine höhere Qualität bekommt, muss es bei ihr eben zusätzlich noch anders sein.
Was sind die Schwierigkeiten, was sind Ihre Ziele?
Unsere Möglichkeiten sind letztendlich begrenzt, wir leben in einem armen Camp, es gibt Grenzen, es gibt ein Embargo. Aber wir halten unsere Begeisterung stark. Wir sind voller Hoffnung. So verfolgen wir die wertvollen Arbeiten, die unsere Künstlerfreunde in Europa für die kurdische Einheit durchführen. Sowohl als Kunstschaffende als auch als Menschen dieses Camps unterstützen wir diese Arbeit von ganzem Herzen; wir wollen daran ebenfalls mitwirken. Jetzt wollen Künstlerinnen und Künstler in den Süden kommen und ein Konzert für die kurdische Einheit geben. Es ist wichtig, dass etwas geschieht, damit das Embargo gegen das Camp aufgehoben wird. Unsere Probleme hier hängen mit der kurdischen Einheit zusammen. Wenn es zu einer innerkurdischen Annäherung kommt, wird auch die Repression gegen dieses Camp aufgehoben werden. Alle Kunstschaffenden sollten in diesem Sinne die Politik dazu aufrufen, dieser Schande ein Ende zu bereiten.
Sind Sie jemals in Südkurdistan aufgetreten?
Bis jetzt haben wir das noch nicht gemacht. Aber wir sollten es tun. In Silêmanî und in Hewlêr finden Festivals statt. Es gibt dort sogar internationale Festivals. Wir können sowohl Kurmanci als auch Soranî. Wir wollen, dass die politischen Hindernisse für die Kunst aufgehoben werden. Wir wollen, dass die Kunst das Volk erreicht und engagieren uns dafür.
Gibt es noch etwas, das Sie mitteilen wollen?
Seit langen Jahren findet im Camp kulturelle und künstlerische Arbeit statt. Wir arbeiten auch mit Kindern. Im vergangenen Jahr haben wir ein Stück für Kinder namens ‚Heytûn‘ auf die Bühne gebracht. Die Ausbildung der Kinder geht noch weiter.Im Moment werden etwa 50 Kinder von uns unterrichtet. Und das wollte ich noch sagen: Wer uns unterstützen, mit uns Kontakt aufnehmen oder uns kennenlernen will, kann das über den Facebook-Account Koma Hêvîyekda tun.
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